Anläßlich des 100sten Geburtstags von Borussia Dortmund und den Slogan „100 Jahre echte Liebe“ aufgreifend werden bei schwatzgelb.de derzeit Fan-Geschichten veröffentlicht, „Von Fans für Fans“. Grund genug für mich, selbst mal zurückzudenken, wie denn das war mit dem BVB und mir. Als in Dortmund Geborener, so wird gerne kolportiert, söge man die Liebe zum BVB doch quasi mit der Muttermilch ein. Diese human-medizinisch nicht haltbare Behauptung muß ich ins Reich der Fabel verweisen, denn erstens kenne ich durchaus Menschen, die trotz alledem *hust* Schalke-Anhänger sind. (Wurde als Kind vom BVB-liebenden Papa hoffnungsfroh in die Rote Erde mitgenommen, eher zufällig zum Spiel gegen die Königsblauen, und da diese dauernd wegen Fouls der Schwarzgelben am Boden lagen, wurde der Knabe aus purem Mitleid Schalke-Fan und blieb es bis heute. So kann’s geh’n.) Oder Gladbach-Anhänger. (Erlebte seine Fußballfansozialisation ausgerechnet Mitte der 70er Jahre, als der BVB zweitklassig in der Unbeachtetheit kickte, während in der Sportschau die andere Borussia Meisterschaften feierte. Tja.) Und zweitens gab es Elternhäuser so wie meines, wo man dem Fußball als solchem desinteressiert, also eigentlich gar nicht gegenüberstand. Und einen Fernseher hatten wir auch nicht, also fand Fußball bei uns nicht statt.
So ganz fußballfern war ich aber dann doch nicht, denn das WM-Endspiel 1986 hatte ich schon vor dem Fernseher des Nachbarn verfolgt, und dank Hanuta-Bildchen kannte ich sogar einige Nationalspieler. Daß im selben Jahr der BVB nur auf dramatische Art und Weise in drei Relegationsspielen die Klasse halten konnte, bekam ich allerdings nicht mit. Meine Ignoranz ging sogar so weit, daß ich einst arglos fragte, ob Dortmund eigentlich in der ersten oder der zweiten Bundesliga spiele? Mein Freund Tim antwortete empört: „In der ersten natürlich!“ Naja, so überaus natürlich war das damals ja gar nicht, aber dessen war ich mir nicht bewußt, und er vielleicht auch nicht. Meine Wahrnehmung von Fußball beschränkte sich jedenfalls so ziemlich auf die Nationalmannschaft, denn auch das EM-Halbfinale gegen Holland verfolgte ich am Fernseher von Freunden, ebenso das Endspiel. Von diesem berichtete ich später meinem Vater, daß Holland gewonnen habe, ich aber viel mehr den Russen den Sieg gegönnt hätte. Weil Holland ja Deutschland rausgekegelt hatte. „Die haben schon genug gewonnen“, meinte mein Vater bloß lapidar. Die Russen nämlich.
Doch wozu hat man Freunde? Ich hatte welche, die schon in den 80er Jahren eine Dauerkarte ihr Eigen nannten, wenngleich nicht für die Südtribüne, sondern für die Westtribüne, die damals noch die Gegentribüne war. Und es traf sich, daß eines Tages jemand verhindert war und ich dafür mit ins Westfalenstadion durfte. Ich hab’s mal recherchiert; es muß der 5. Dezember 1988 gewesen sein, Borussia Dortmund gegen den SV Waldhof Mannheim. „Na, wie hat’s dir gefallen?“ wurde ich am Ende gefragt. „Gut“, muß ich wohl geantwortet haben, worauf entgegnet wurde: „Sie hätten bloß gewinnen müssen, woll?“ Denn Dortmund verlor 0:1. Egal, es hat mir nicht geschadet, ich wurde weder zum Fußballverächter noch zum Waldhof-Anhänger, obwohl die Gefahr größer war, als man vermuten sollte. Denn am 1. April 1989 gab es eine neue Chance. Das war mein zweiter Stadionbesuch, wieder gegen Waldhof. Der Kollege, auf dessen Dauerkarte ich das Spiel sehen durfte, muß es geahnt haben, denn Borussia verlor abermals, diesmal mit 1:2. Unvergessen bleiben wird mir aber nicht das Spiel, sondern der Spruch des knöterigen Alten schräg unter mir: „Der Breitzke is’ ’ne Pflaume.“
Wer weiß, was aus mir geworden wäre, hätte nicht zeitgleich überall Pokaleuphorie geherrscht, die sich mir durch Freunde und Schulkameraden mitteilte, und wo ich ja sogar irgendwie mitreden konnte, denn nun war ich ja schon selbst mehrfach im Stadion gewesen. Das Pokalendspiel gegen Werder Bremen sah ich wiederum vor einem befreundeten Fernseher, und der Vater des zum Fernseher gehörigen Freundes Lars unkte, daß der Burgsmüller ein Schlitzohr sei; der würde uns (uns, das war der BVB) sicher einen reintun. Vielleicht wurde bei dieser Gelegenheit mein bis heute anhaltender Zweckpessimismus geboren, denn ich schloß mich einfach mal den Tipps zum Spielausgang an. Und die gingen allesamt davon aus, daß der BVB gegen Werder keine Chance habe. „3:1 für Werder“, mehr war nicht drin, und das Spiel schien die Tipps zu bestätigen. 1:0 durch Riedle in der 15ten Minute („Ich hab’s ja gesagt!“), dann der Ausgleich durch Dickel („Das war das 3 zu 1!“). Am Ende kam es aber dann doch viel besser, denn wir (wir, das war der BVB) gewannen mit sagenhaften 4 zu 1 Toren, Norbert Dickel wurde zur Legende, Frank Mill gewann seinen Titel, und die Begeisterung in Dortmund war unbeschreiblich. Jedenfalls bin ich spätestens seitdem BVB-Fan. Ein echter Erfolgsfan also; ich kann’s nicht ändern.
Überhaupt kann ich mich fußballtechnisch nicht beschweren, ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Ich habe es optimal getroffen. Denn – was ein gnädiges Schicksal zu verhüten gewußt hat – ich hätte ja ebenso gut in, sagen wir, Bochum geboren werden können. Dann hätten mich befreundete Dauerkarteninhaber zum VfL mitgenommen und meine seligsten Erinnerungen würden sich an Nichtabstiege und Wiederaufstiege knüpfen. Aber so, wie es ist, darf ich einerseits auf eine glorreiche Vereinshistorie von vor meiner Zeit stolz sein, mit drei Deutschen Meisterschaften, einem Pokal- und sogar einem Europapokalsieg in schwarz-weiß. Und andererseits durfte ich selbst drei Deutsche Meisterschaften, einen Pokalsieg, einen Europapokalsieg und den Weltpokal bejubeln, im besten Alter stehend, und ohne daß mir derartige Triumphe selbstverständlich vorkämen, wie man es Bayern-Fans unterstellen darf. Und sogar die eher beschissenen Spielzeiten waren für mich ein Gewinn. Vereinsmitglied wurde ich 1999, als es keineswegs wie geschmiert lief. Und ich war in keiner Saison öfter im Stadion als 2006/2007, als wir immer weiter nach unten durchgereicht wurden und der Klassenerhalt nur mit Mühe erkämpft werden konnte. Das war toller, als langweilig im gesicherten Mittelfeld ums goldene Nichts zu spielen. Da ging’s um was, da zeigten sich die besten Fans der Liga. Das war echte Liebe.
Frohe Weihnachten!