Kleiner Anstoß zur Hoffnungslosigkeit.

4. Mai 2019

Machen wir uns nichts vor. Die Bayern werden die zehn voll machen. Zehn Meisterschaften in Folge nämlich. Und sollte dann tatsächlich eine andere Mannschaft mal dazwischengrätschen können, wird es Red Bull Leipzig sein. Die Zeiten, in denen in der Bundesliga die achtzehn besten Mannschaften Deutschlands untereinander den Meistertitel ausspielten, sind lange vorbei. Die Bundesliga ist nur noch das Qualifikationsturnier für die europäischen Pokalwettbewerbe.

Der Urfehler ist ja sowieso, sich emotional an Dinge zu hängen, die man nicht beeinflussen kann. Daumendrücken ist nicht: das Daumenbedrückte zu beeinflussen. Kerzenanzünden (falls man katholisch ist) ist nicht: auf das Seelenheil dessen, „für“ den man eine Kerze angezündet hat, Einfluß zu nehmen. Beten ist nicht: die Muttergottes (falls man immer noch katholisch ist) oder den sonstigen Heiligen (falls man es immer noch nicht begriffen hat und weiterhin katholisch bleibt) so zu beeinflussen, daß sie oder er auf den lieben Gott Einfluß nimmt, damit dieser dann die Dinge so lenkt, wie es einem lieb wäre. Und eine Fußballmannschaft anzufeuern ist eben auch nicht: etwas zum Erfolg beigetragen zu haben. Na gut, manchmal vielleicht schon; aber die Mannschaft, die frenetisch angefeuert wurde, verliert häufig genug trotzdem, und das sollte einem zu denken geben. Ach, und Lottospielen ist übrigens auch nicht: Vermögensmanagement. Nicht, wenn damit die Mehrung des Vermögens gemeint ist.

Fußballfans neigen ja zu Irrationalität. Das beginnt bei den Spieltagstipps („Alter, die Schalker hau’n wir heute 4 zu 0 wech!“), geht weiter bei der Bewertung von Spielszenen („Ey! Schiri! Das war doch nie im Leben Abseits! Fußball-Mafia Dee Eff Bee!“) und endet vermutlich nicht bei der Chancenkalkulation bezüglich der zu erringenden Titel („Also wenn wir jetzt in Bremen gewinnen, und wenn Hannover in München über sich hinauswächst, früh ein Tor macht und sich dann hinten reinstellt und 1 zu 0 gewinnt, dann sind wir wieder einen Punkt vorne!“).

Hochgradig irrational ist es, seine Hoffnungsfünkchen im düsteren Alltag aus den Erfolgen des mehr oder weniger zufällig gewählten Lieblingsvereins schlagen zu wollen. Manchmal klappt das (Und als BVB-Fan habe ich da noch mit die beste Billanz mit immerhin 5 selbst miterlebten Meisterschaften, 3 miterlebten Pokalsiegen, einem miterlebten Champions-League-Triumph), häufiger jedoch nicht. (Denn als BVB-Fan habe ich ja auch schon 3 Niederlagen in europäischen Pokalfinals miterlebt, 4 Niederlagen in DFB-Pokalfinals und rein rechnerisch 37 verpaßte Meisterschaften.)

Ebenso irrational ist allerdings auch das naiv-mütterliche „Möge der Bessere gewinnen!“, denn natürlich soll eben nicht der Bessere gewinnen. Sondern die eigene Mannschaft. Nicht die Bayern; die gewinnen sowieso immer. Verdammt nochmal, immer! Sportlich-faire Anerkennung der Verdienste anderer mag ihren Platz in Sonntagsreden von Verbandsfunktionären haben, aber vom gemeinen Fußballfan darf man dergleichen nicht erwarten, denn es ist ja nicht Sinn der Sache, anderen beim Jubeln zuzusehen. Es ist jedoch die Normalität. Denn naturgemäß kann am Ende ja nur einer den Sieg davontragen, während alle anderen betrübt in die Röhre gucken. Und es wäre ja nicht mal schlimm, nicht Meister zu werden, wenn nicht dieser eine, der den Sieg davonträgt, immer Bayern München wäre. Fast kann man es den Bayern nicht verübeln, denn die Mitbewerber um den Titel sind ja auch einfach zu blöd. Ja, ich meine dich, Borussia Dortmund!

Es wäre nicht mal schlimm, wenn andere Mannschaften öfter Titel errüngen als die eigene, was sowieso für die allermeisten Fußballfans der Normalfall ist. Wenn denn diese anderen Titelgewinner wenigstens sympathisch wären und ihre Triumphe zu schätzen wüßten. Die längste Zeit meines Lebens standen andere Vereine in der Rangliste der deutschen Meisterschaften vor dem BVB, der die gesamte Bundesligageschichte von 1963/64 bis 1995 ohne Meistertitel blieb. Selbst heute ist Borussia Dortmund nicht mal Zweitplatzierter hinter den Bayern, sondern vor uns steht noch der 1. FC Nürnberg mit neun Titelgewinnen. Und Dynamo Berlin mit garantiert sportlich-fair errungenen zehn DDR-Meistertiteln. Ich kann mich nicht erinnern, daß die jeweils anderen Titelträger ob dieses Umstandes angefeindet worden wären. Nur die Bayern. Weil sie die Meisterschaft als ihnen zustehendes Naturrecht ansehen, gleichzeitzig diese Meisterschaft aber nicht zu schätzen wissen, sondern ihnen nur der Champions-League-Titel etwas bedeutet. Weil sie aber dennoch beleidigt sind, wenn tatsächlich doch mal wer anders Meister wird. Weil sie darüber jammern, daß ihnen die allzu schwache Bundesliga nicht die nötige Wettkampfpraxis bietet, um in der Champions League reüssieren zu können, sie aber gleichzeitig mit ihrer Einkaufspolitik für die Tribüne dafür sorgen, daß alle potentiellen Konkurrenten schön schwach bleiben. Weil sie arrogant und herablassend sind, und weil sie nicht nur schlechte Gewinner, sondern noch schlechtere Verlierer sind, falls dieser Umstand mal eintrifft, was selten ist. Dann kommt es schon mal vor, daß nach einer 2-zu-5-Niederlage im Pokal davon gesprochen wird, über 90 Minuten die bessere Mannschaft gewesen zu sein; und daß man der siegreichen Mannschaft im Finale den gebotenen Respekt versagt und die Silbermedaillen wegschleudert, die andere sich stolz in den Partykeller hängen würden. Als 2002 der BVB überraschend Meister wurde und nicht die Bayern zum vierten Mal in Folge, was damaliger Rekord gewesen wäre, hieß es aus Bayernkreisen, das hätte schon wehgetan, zu sehen, wie die anderen (die Dortmunder) die Meisterschale überreicht bekamen. Ihre Meisterschale. Und als 2013 Mario Götze und Marco Reus das neue Traumduo im offensiven Mittelfeld wurden, zahlten die Bayern über 30 Millionen Euro, um dieses Duo zu sprengen. Und um Götze auf der Tribüne versauern zu lassen. Wenn man ein gutgefülltes Festgeldkonto hat, kann man sich sowas ja leisten. Natürlich verkündet man solche Kaufabsichten auch strategisch günstig vor einem wichtigen Aufeinandertreffen mit dem gegnerischen Verein, um Unruhe zu schüren.

Und dann sind da die Bayernfans. Da gibt es ja solche und solche. Die einen sind halt Münchner oder wenigstens Bayern und haben halt Glück gehabt. Die anderen sind weder Münchner noch Bayern und hatten auch kein Glück, sondern haben sich halt für den Verein entschieden, der so oft gewinnt. In den Zeiten, da Borussia Dortmund mal eine Erfolgsphase hatte, kamen solche Fans auch zum BVB. Jedenfalls ist das eine gewissermaßen rationale Entscheidung, denn es ist ja sinnvoll, sich als Lieferanten für Stellvertreter-Erfolge den Verein auszusuchen, bei dem die Erfolgsaussichten am besten sind. Vulgo: Bayern München. Das ist so rational, daß es mich anwidert.

Zumal, wenn dann eine Emotionalität zur Schau getragen wird, die im krassen Gegensatz zur berechnenden Kälte dieses ganzen Bayern-Gedönses steht. So bejubelt der Radioeporter Karlheinz Kas jedes Tor der Bayern in der Bundesligakonferenz so dermaßen überschwänglich, als sei es das Unfaßbarste, dessen er je Zeuge wurde. Und meinen treulosen Nachbarn höre ich hier auch stets jedes Tor für die Bayern und jedes Tor gegen den BVB übertrieben laut zelebrieren. Als ich mal nach irgendeinem verlorenen Pokalfinale vom Marktplatz, wo auf Großleinwand die Niederlage im Rudel mitverfolgt wurde, nach Hause trottete, hörte ich auf einmal hinter mir: „Ey!“, was ich zunächst nicht auf mich bezog. Dann nochmal: „Ey!“, also drehte ich mich um. Da saßen zwei Bayernfans mit der Bierflasche in der Hand auf einer Motorhaube und riefen mir zu: „Mia san mia!“. Ja dann geht doch nach drüben, wenn’s euch hier nicht gefällt! Bayernfan zu sein ist ja gut und schön, aber dann diese pseudobayrische Klüngelmentalität zu adoptieren, grenzt ja schon an cultural appropriation. Kann ich nicht ernstnehmen.

Aber ernstnehmen kann man Bayernfans ja sowieso schlecht. Vor allem nicht, wenn sie über Mißerfolge ihrer Mannschaft jammern, was häufig geschieht, vor allem betreffs der Champions League. Die jahrelang andauernde Meisterschaft bringt ihnen ja dummerweise keinen Endorphinschub mehr, weshalb höhere Weihen herhalten müßten; tun sie aber nicht. In der Champiuons League können Bayernfans noch erleben, wie es sich anfühlt, keinen Erfolg zu haben, was – ich erwähnte es – für Fans aller anderen Vereine ganz normal ist. Normale Fans haben Abstiegssorgen und Aufstiegsenttäuschungen (HSV, oje, oje), können nur ganz selten mal auf wirkliche Erfolgserlebnisse hoffen und nehmen diese dann nicht wie selbstverständlich hin, sondern bejubeln eine Meisterschaft wirklich noch wie eine Meisterschaft und nicht bloß wie einen Einwurf. Für die Bayern hingegen wird die Saison 2018/19 als die Horrorsaison in Erinnerung bleiben, in der sie beinahe nicht Meister geworden wären und mal wieder nicht die Champions League gewonnen haben.

Also geht’s am Ende allen schlecht. Das ist doch auch mal schön.