Heute vor zehn (10) Jahren ließ ich mich von Jörg1680 dazu überreden, ein(en) Weblog, also ein(en) Blog, und zwar hier bei WordPress, weil er, Jörg, auch einen solchen hier hatte, zu erstellen. Ohne Konzept und mit unklarer Zielsetzung, was auch direkt zum ersten Eintrag führte, der da unter der Überschrift „Ja und nu?“ lautete: „Ich weiß schon, weshalb ich nie das Bedürfnis verspürte, Tagebuch zu führen.“ Wer den Link anklickt, bekommt genau das.
Genaugenommen wußte ich natürlich überhaupt nicht, weshalb ich nie das Bedürfnis verspürte, Tagebuch zu führen. Ich hatte dieses Bedürfnis halt nie, und ich habe es auch nie getan. Also Tagebuch geführt. Mein erster Beitrag hier war also gleich Murks mit verquerer Logik, denn gemeint hatte ich wohl, daß ich gar nicht wüßte, was ich jetzt hier schreiben sollte, so wie ich ja auch bisher nie gewußt hätte, was ich meinem Tagebuch hätte anvertrauen sollen, wobei ich ein privates Tagebuch irgendwie gedanklich mit einem öffentlich einsehbaren Blog in eine Kategorie steckte. Is‘ aber auch egal, denn zum öffentlichen Tagebuchschreiben kam es hier auch nie. Ich faßte lediglich ein-, zweimal im Monat einige Gedanken in Worte, oft, weil ich diese Gedanken mal loswerden wollte, bisweilen, um in dem Monat überhaupt einen Eintrag verfaßt zu haben. Diesen Ehrgeiz entwickelte ich immerhin.
Jedenfalls, Jahrestage. In den Statistiken, die ich ab und an mal ansehe, in der Hoffnung, durch gezielte Suchanfragen der Leser auf ein zu erörterndes Thema gestoßen zu werden, fand ich nun diese Mitteilung von WordPress:
Glückwunsch zum Jahrestag mit WordPress.com!
Du hast dich vor 10 Jahren auf WordPress.com registriert.
Danke für dein Vertrauen. Weiter viel Erfolg beim Bloggen!
Ja, danke auch. Ich habe unheimlich viel Erfolg. Die Zahl meiner Leser geht in die Dutzende!
Also, Jahrestage. Sie bedeuten mir wenig. Ein Ereignis fand statt, und einen Sonnenumlauf später jährt sich dieses Ereignis, weil seitdem 365,25 Tage vergangen sind. Mehrere Sonnenumläufe später jährt sich das Ereignis zum soundsovielten Male, erst einmal, dann zweimal, schließlich zehn mal, irgendwann vielleicht 25 mal, 50 mal, 100 mal und so weiter. Andere Kulturen bevorzugen ein anderes Kalendersystem mit anderer Zeitrechnung, insbesondere statt des Sonnenjahres das Mondjahr, und in diesen Kulturen war am 24sten Juli 2009 gar nicht der 24ste Juli 2009, sondern irgendein anderes Datum, und gemäß diesem anderen Kalendersystem jährt sich dieses Datum heute überhaupt nicht zum zehnten Male. Dabei war jener Tag unabhängig vom Kalendersystem derselbe Tag: Die Sonne ging auf, Dinge ereigneten sich, die Sonne ging unter; bloß war das Datum ein ganz anderes.
Dem Jahrestag als solchem wohnt also gar kein Wert an sich inne, sondern ein solcher Wert wird ihm allerhöchstens im Kontext eines zeitlichen Bezugssystems beigemessen, wobei das Bezugssystem austauschbar ist. Komplett willkürlich ist es freilich nicht, denn die Einteilung der Zeit in Tage und Jahre wurde ja von durchaus klugen Menschen an ein unabhängiges, fixes Objekt in der Natur geknüpft, sei es die Sonne, sei es der Mond. Besonders extrovertierte [Wort durch eigentlich gemeintes Wort ersetzen, welches mir nie auf Anhieb einfällt, nie!] Zeitgenossen [exzentrisch! Danke sehr.] richten ihr Leben vielleicht nach dem Venusjahr oder dem Saturnjahr aus, weilses geil finden; nicht, weil es nötig wäre.
Und Jahrestage? Sind die nötig? Immerhin bieten sie einen Anlaß zur Retrospektive, was ich durchaus gutheiße. Aber muß man sie feiern? Ist es eine Errungenschaft, eine Leistung, ein Achievement, wie der Anglophone sagt, ein Jahr, zehn Jahre und so weiter seit dem gefeierten Urereignis durchgehalten zu haben? Vielleicht. Aber Geburtstage beispielsweise empfand ich im Kindesalter bloß wegen der Geschenke als angenehm, nach großartiger Feierei stand mir schon damals nie der Sinn. Zumal ja die tollsten Lego-Kästen (wie wir Sets damals nannten) sowieso immer erst nach meinem Geburtstag in die Läden kamen; 1984 die grauen Ritterburgen, 1989 die Piraten. Was war also der Geburtstag wert? Richtig: Nüschte!
Und überhaupt, die „runden“ Jahrestage. 10, okay, da hat man einmal alle Finger durch. Bei 20 nimmt man noch die Zehen mit, für 21 hätte Mann noch eine Option. 25? Das ist der Halbschritt zur nächsten Null, vor allem aber ein Viertel der vollen 100. Was ist an der 100 so besonders? Das ist so ungefähr ein Lebensalter. Die wenigsten erreichen es, wenige überschreiten es. „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen“, übersetzte Luther im 90sten Psalm. An die 100 als rundeste aller runden Zahlen wurde da noch gar nicht gedacht, aber schon hier waren Vielfache von 10 offenbar ausschlaggebend. Das ist keineswegs selbstverständlich.
So gab es zwar im Griechischen der Antike zum Beispiel die akrophonischen Zahlen, die neben Einsern, welche in entsprechender Anzahl aneinandergereiht wurden, auch Zehner und halbe Zehner, also Fünfer notierte, und dies auch jeweils mit einer, zwei oder drei Nullen mehr, wiewohl es die Null natürlich nicht gab. Gleichzeitig verwendeten die Griechen aber auch die 24 Buchstaben des Alphabets als Zahlen von 1 bis 24.
Im Hebräischen wurden ebenfalls die Buchstaben als Zahlen verwendet, wobei in der Reihenfolge des Alphabets zunächst die Zahlen von 1 bis 9, dann die Zehner von 10 bis 90, dann die Hunderter von 100 bis 400 darstellbar waren, und dank der besonderen Schreibung mancher Buchstaben in Wortendstellung noch weitere fünf Zeichen für die Hunderter von 500 bis 900 zur Verfügung standen, was aber nicht häufig genutzt wurde. In den meisten Texten, insbesondere dem Alten Testament, welches naturgemäß fürs christliche Abendland grundlegend war, wurden Zahlen aber ausgeschrieben, also „dreihundertfünfundsechzig“ statt „365“. Außerdem wurden Zahlen vermieden, die JHWH ergeben hätten oder dem ähnlich sahen. Man muß halt Prioritäten setzen. So oder so ist schon eine Fixierung auf ein 10er-basiertes Zahlensystem erkennbar.
Andernorts, also zum Beispiel hier, war das durchaus nicht so. Hier war die 12 vorherrschend, was zum einen erkennbar ist daran, daß die Zahlenreihe bei Eins beginnend nicht bei zehn endet, sondern noch elf und zwölf als besondere Zahlwörter einschließt, zum andern auch daran, daß es ein auf dem Dutzend basierendes Rechensystem gab. Ein Dutzend kann man mit dem Daumen an einer Hand abzählen, wenn man nämlich die Fingerglieder von der Spitze des Kleinfingers bis zur Wurzel des Zeigefingers durchgeht. Außerdem waren 12×12 ein Gros, und 5×12 ein Schock. Nach mitteleuropäischer Denkungsart wäre also vielleicht eher der 12te Jahrestag „rund“ und feierwürdig gewesen, und eben nicht der 10te.
Wie man sieht, ist das alles, wenn auch nicht rundweg willkürlich, so doch immerhin auch nicht naturgegeben. Und wichtig ist es sowieso nicht.