CD-Regal revisited: Pink Floyd (4)

23. Januar 2019

Seit Tagen höre ich mich auf Youtube durch Live-Mitschnitte von Pink-Floyd-Konzerten. Derer gibt es viele. Sehr viele. Und das ist ein erfreulicher Umstand, denn es muß echt ein Erlebnis gewesen sein, der Band in den frühen 70er Jahren bei der Ausübung ihres Berufs zu lauschen. Mehrerlei fiel mir im Zuge des Binge-Listenings auf: Erstens erscheinen viele von Alben bekannte Songs in der Live-Version viel lebendiger (harhar) und – ja, das ist persönliche Präferenz – besser als in der glattproduzierten Studio-Variante. Und das, wo doch gerade die bis ins Kleinste ausgefeilte Studioproduktion das vermeintliche Markenzeichen Pink Floyds gewesen sein soll. Als Live-Act jedenfalls haben sie angefangen, und als solcher vermögen sie absolut zu überzeugen; viele Songs wurden live zu virtuosen Jam-Sessions ausgeweitet. Zweitens gaben Pink Floyd in ihren Konzerten regelmäßig und wiederkehrend Kompositionen zu Gehör, die weder als Single noch auf Alben je veröffentlicht wurden. Bisweilen aber spielten sie auch schon Jahre vor der Veröffentlichung eines Stückes auf einem Album dessen Urversion auf der Bühne, und das durchaus im festen Repertoire. Drittens schließlich ging mir auf, daß Pink Floyd lange, lange überhaupt kein offizielles Live-Album veröffentlicht hatten; die Mitschnitte auf Youtube sind durch die Bank unlizenzierte Bootlegs. Dabei lagen Live-Alben doch in den 60er und 70er Jahren voll im Trend und wurden sogar legendär, wie etwa Deep Purple’s „Made in Japan“.

Aber was red‘ ich da! Natürlich gab es ein Live-Album von Pink Floyd, jedenfalls ein halbes. Und zwar die Live-Scheibe des Doppel-Albums „Ummagumma“.

Ummagumma

An diesem Album von 1969 scheiden sich die Geister. Die Live-Scheibe hörte ich schon als „das Beste, was Pink Floyd je gemacht hat“ bezeichnet werden, die Studio-Scheibe gehört zu dem, was mein Freund Claudius „unanhörbar“ nannte. Und in der Tat dürfte ich „Ummagumma“ mit am seltensten aufgelegt haben, die CD wäre also noch nahezu neuwertig – hätte ich sie nicht sowieso gebraucht gekauft. Aus Gründen. Zum einen ist ein Doppel-Album natürlich auch doppelt so teuer wie eine normale CD, und das wollte ich mir als armer Zivi oder noch ärmerer Student nicht leisten. Zum andern schreckte mich wohl auf dem Rücken der Hülle die Dichotomie in „Live Album“ und „Studio Album“ ab, denn auf Live-Alben stand ich seinerzeit ja so überhaupt nicht. Ob ich im Laden die Möglichkeit hatte, einen Blick auf die Titelliste zu werfen, weiß ich nicht mehr, denn in der mir nun vorliegenden Variante stecken zwei CD-Jewel-Cases in einer Papphülle ohne Beschriftung.

Aber auch die Titelliste des Studio-Albums hätte wohl nicht mein Vertrauen erweckt: „Sysyphus: 1 – Part One 2 – Part Two 3 – Part Three 4 – Part Four“ steht da zum Beispiel. Oder, aberwitzig: „Several Species of Small Furry Animals Gathered Together in a Cave and Grooving with a Pict“. Ich kaufte es also im Laden nicht. Erst später, aber noch vor der Jahrtausendwende, erbarmte ich mich des Albums, als es in einer Ramsch-CD-Kiste an der Bochumer Ruhr-Universität auftauchte. Freilich fehlte das oben abgebildete Poster, das ich erst vor einigen Jahren einzeln via Ebay kaufte. Es fehlt also jetzt jemand anderem, der sich günstigstenfalls mit dem Vorbesitzer meines Exemplars zusammentun sollte.

Das Cover der Live-CD ziert die Rückseite der ursprünglichen Doppel-Schallplatte, das Motiv ist ein frühes Beispiel für „Knolling“. Säuberlich aufgefächert präsentieren uns zwei Roadies das gesamte Tour-Equipment von Pink Floyd. Nicht uncool. Und natürlich ist auch der akustische Inhalt des Live-Albums cool, wenn auch bedauerlicherweise wenig umfangreich. Während ein Auftritt von Pink Floyd leicht über zwei Stunden dauerte, stehen auf einer LP kaum 50 Minuten zur Verfügung, so daß wir lediglich die Songs „Astronomy Dominé“ (ja, man spricht es „Dominee“ aus, nicht „Domein“), „Careful with that Axe, Eugene“, „Set the Controls for the Heart of the Sun“ und „A Saucerful of Secrets“ geboten bekommen. Sollte der Song „Embryo“ 1969 schon existiert haben, wurde die Gelegenheit verstreichen gelassen, ihn angemessen auf einem Album zu verewigen; dazu müssen wir also später kommen. „Careful with that Axe, Eugene“ war zuvor nur in der Studio-Version als B-Seite der Single „Point me at the Sky“ veröffentlicht worden, stellt insofern also das Highlight des Live-Albums dar. Drum sei das Stück hier mal verlinkt:

Der Song taucht immer wieder in den Live-Mitschnitten auf und fand auch Eingang ins Set für den Pompeji-Film.
Soweit also der Live-Anteil des Albums. Als Live-Doppel-LP mit entsprechend mehr Songs wäre das der Hammer gewesen. Aber wozu braucht man einen Hammer, wenn man eine Schraube locker hat? Denn der zweite Teil des Albums ist ja eben die Studio-Scheibe.

„File under POPULAR : Pop Groups“ steht als Sortierhinweis an die Plattenladenbesitzer auf der Rückseite der Platte. Aber mit Pop hat „Ummagumma“ wenig zu tun. Und zwar:
Nach den Erfolgen der ersten Singles und Langspielplatten, da Pink Floyd eine beliebte Konzertband war und sogar für Filmprojekte angefragt wurde, bekamen die Jungs Studiozeit geschenkt. Da, Mischpult, Mikros, Effektdingsbums, macht, was ihr wollt! Und statt jetzt einfach ein Album aufzunehmen, packte sie die Lust am Experimentieren. Jedes der vier Mitglieder sollte eine Hälfte einer Seite der Platte füllen, knapp 12 Minuten, und zwar solo. Also wirklich solo, alle Instrumente selbst spielen, bitteschön! Als David Gilmour Roger Waters bat, ihm wenigstens beim Texten zu helfen, wurde er brüsk abgewiesen; wahrscheinlich wurde hier das Fundement für die spätere Männerfeindschaft gelegt. Wie auch immer. Sollte ich bisher den Eindruck erweckt haben, „Ummagumma“ sei unhörbare Klangkacke, so war das Absicht. Aber so schlecht ist das alles gar nicht. Man darf halt bloß kein Pink-Floyd-Album erwarten, sondern mehrere angejazzte, experimentierfreudige Solo-Demos, aus denen bei der damals so gedeihlichen Zusammenarbeit der vier Musiker durchaus ein allgemein anerkannter Album-Klassiker hätte werden können.

Im Grunde kann man hier nicht ein exemplarisches Hörbeispiel verlinken, sondern muß auf alle vier Solodarbietungen einzeln eingehen. Richard Wright, seines Zeichens der Pianist der Band, konzentrierte sich folgerichtig auf sein Keyboard und schrieb Sisyphos falsch. Sein Werk „Sysyphus“ gliederte er in vier Teile, hier am Stück verlinkt:

Roger Waters, der Bassist, widmete seine halbe Hälfte nicht einem einzigen Projekt, sondern halbierte sie abermals und brachte zum einen den lyrischen Gitarrensong „Grantchester Meadows“ zu Gehör, der später sogar bisweilen von der Band live aufgeführt wurde, tutti.

Da das aber irgendwie zu normal war, legte er sicherheitshalber die schon erwähnten „Several Species of Small Furry Animals Gathered Together in a Cave and Grooving with a Pict“ nach. Da muß man schon was eingeworfen haben, um das entspannt genießen zu können. Interessant ist das Klanggebilde aber durchaus, wenngleich ich Waters‘ spoken words auch nicht ansatzweise verstehe.

David Gilmour mußte also selbständig texten, was er ja nicht gemußt hätte, hätte er auf Text verzichtet, was er aber nicht tat. Dafür ist sein „Narrow Way“, aufgeteilt in drei Teile, aber durchaus gefällig. Oder zu zaghaft, um als avantgardistisch durchgehen zu können.

Nick Mason schließlich ist der Schlagzeuger der Kapelle. Auf ein zwölfminütiges Drum-Solo verzichtete er vernünftigerweise. Weder brauchte er volle zwölf Minuten, noch beschränkte er sich aufs Schlagzeug, wenn es auch dominiert. Er nannte sein Segment „The Grand Vizier’s Garden Party“ und gliederte es in drei Teile: Entrance, Entertainment und Exit.

Nun ja. Als viertes Album nach Debüt und Folgealbum sowie einem Autorenfilm-Soundtrack dieses Experiment zu veröffentlichen, ist durchaus mutig und zeugt vielleicht vom Selbstbewußtsein Pink Floyds. Oder von der Unbekümmertheit. Oder vom Drogenkonsum. In Teilen ist das Studio-Album gar nicht so unanhörbar, aber in anderen Teilen halt doch, zumindest, wenn man sich mit schöner Musik berieseln lassen will. „Ummagumma“ soll übrigens ein regionales Slang-Wort fürs Poppen sein (Also doch Pop!), aber ob dieses Album dazu als Soundtrack taugt, muß offen bleiben.