Der HSV.

15. Mai 2014

April und Mai sind gewöhnlich im Fußball die „Wochen der Entscheidungen“. In der Bundesliga findet sich üblicherweise der Meister, sofern der FC Bayern das nicht bereits im März klarmacht; die Europapokalteilnehmer und die Absteiger kristallisieren sich langsam heraus; und die Endspiele von Europaliga, Champions League und DFB-Pokal finden statt. Seit 2009 gibt es auch wieder Relegationsspiele zwischen den So-gut-wie-Absteigern der oberen Ligen und den So-gut-wie-Aufsteigern der jeweils nächsttieferen Ligen. Dieses retardierende Element der Spannungserzeugung, welches die Fußballoberen meinten, unbedingt wieder einführen zu müssen, hat meinem Verein (dem BVB) im Jahre 1986 den Arsch gerettet.

Eigentlich wäre man als Tabellensechzehnter abgestiegen, aber in den Jahren 1982 bis 1991 durfte der Vorvorletzte der Bundesliga in zwei Strohhalmspielen mit dem Drittplazierten der Zweiten Liga um die Startberechtigung für die kommende Saison ringen. Dieses Zeitfenster von neun Jahren nutzte Borussia Dortmund klugerweise, um mal in akuteste Abstiegsnot zu geraten, und die Chance auf den Klassenverbleib wurde – hüstel – souverän genutzt. Das Hinspiel in Köln gegen den ortsansässigen Sportclub Fortuna wurde prompt mit 0:2 verloren, und im Rückspiel lag man auch nach 14 Minuten schon wieder mit 0:1 hinten. Beste Voraussetzungen also, um ebenso klang- wie sanglos zum zweiten Male in den Niederungen der zweiten Liga zu verschwinden.

Nun also der HSV. Der ruhmreiche Hamburger Sportverein ist ja bekanntermaßen in seiner gesamten Geschichte noch nie zweitklassig gewesen. Noch nie. Von allen Vereinen der Bundesliga ist er der einzige, der von Anbeginn ununterbrochen dabeiwar. Weiß man ja alles. Die Erfolgsgeschichte liest sich ähnlich wie die von Borussia Dortmund: 6 Deutsche Meisterschaften, davon drei bereits vor Einführung der Bundesliga errungen; 3 Deutsche Pokalsiege; jeweils ein Sieg im Europapokal der Pokalsieger und im Europapokal der Landesmeister, hinzu kommen drei weitere Finalteilnahmen auf europäischer Ebene. Wie bei Borussia Dortmund gab es erfolgreichere Jahre und Dürreperioden. Die gegenwärtige Dürreperiode dauert gewissermaßen seit 1987 an, dem Jahr des letzten Titelgewinns.

Aber dieses Jahr hat die Mannschaft gespielt wie Tasse leer.

Eine meiner ganz frühen Stadionerfahrungen war ein Heimspiel gegen den HSV. Das war in den späten 80er Jahren, und damals war das Stadion noch kein familienkuscheliger Ort. Es gab Hooligans, es gab die Borussenfront. „Aber mit dem HSV haben wir eine Fanfreundschaft“, erklärte man mir. Tja, und seitdem pflege ich eine Fanfreundschaft zum HSV. Die Ära der Fanfreundschaften ist eigentlich vorbei, denn das Credo der Ultras lautet: „Nur der eigene Verein!“ Aber auf der Dortmunder Südtribüne gibt es immer noch mindestens eine große Fahne, in die auch ganz klein die Wappen Hamburgs und des HSV eingearbeitet sind. Ein Gleichgesinnter! Jedenfalls geht es mir darum durchaus nahe, daß der Hamburger SV zur Stunde, während ich dies tippe, sein erstes Relegationsspiel gegen die Spielvereinigung Greuther Fürth bestreitet. (Aktueller Zwischenstand: 0:0) Ich habe nichts gegen Fürth, aber ich will einfach nicht, daß der HSV absteigt.

Vor 100 Jahren hätte Hamburg gegen Fürth ein Meisterschaftsendspiel sein können. Nun geht es also um Gedeih oder Verderb. Nach einer beschissenen Saison noch Relegation spielen zu dürfen, ist ein Geschenk, wenigstens das scheinen die Spieler begriffen zu haben, wenn ich mir das Geschehen nebenan auf dem Fußballbildschirm ansehe. Kampfgeist ist vorhanden, aber beschissen spielen sie immer noch. Immerhin lebt der Verein HSV. Das Stadion ist voll, schon in den letzten Spielen der ablaufenden Saison war die Unterstützung der Fans uneingeschränkt vorhanden. Auch das ähnelt der Situation Borussia Dortmunds 1986. Auch da war das Westfalenstadion ausverkauft, und am Ende durften dann die Dortmunder ihren Vereinspräsidenten auf Händen tragen. Ernsthaft, das geschah. Wortwörtlich. Freilich darf bezweifelt werden, daß die Hamburger dies am Ende dieser Relegationsrunde mit ihrem Präsidenten machen, denn die Leistungen der HSV-Führungsebene waren mindestens so schwach wie die der Mannschaft. Aber immerhin, Borussia schaffte es damals, die drei Tore innert 76 Minuten aufzuholen, und in der buchstäblich letzten Minute durch einen von Jürgen Wegmann ins Tor gestocherten Ball ein drittes Spiel, also die wirklich letzte Chance zu erzwingen.Bemerkenswert war, wie die Borussen trotz des großen Rückstandes ruhig blieben und weiter ihre Möglichkeiten suchten.

Also, HSV! Nehmt euch ein Beispiel! Die Situation mag aussichtslos erscheinen, aber sie ist es nicht. Und es kann doch nicht angehen, daß die Bremer euch am Jahren in der Bundesliga gleichkommen oder gar überholen. Und wenn es am Ende unverdienter Dusel war, dann ist das halt so. Hauptsache, der Hamburger SV bleibt in der Liga!

Immer noch 0:0, immer noch ganz schlechtes Spiel des HSV. Mannomann.


Rainald Grebe.

6. Mai 2014

Ich bin ja nicht Fan von vielem. Na gut, Lego kann ich nicht leugnen, Borussia Dortmund will ich nicht leugnen, und Pink Floyd der 70er Jahre muß ich wohl auch zugeben. Ansonsten ist mir das Fan-Sein fremd, und „Stars“ bedeuten mir schon mal gar nichts. Wenn mir Michael Jackson in der Straßenbahn gegenübersäße, würde ich möglicherweise leicht ausflippen, aber auch nur, weil der eigentlich tot ist.

Aber dieser Puppenspieler aus Frechen ist schon cool.

Es war ziemlich genau vor einigen Jahren, als ich nachts vor Mutters Fernseher rumlungerte und bloß noch mal durchzappte, um eigentlich zwecks Bettgangs auszuschalten. Aber ich blieb bei 3Sat hängen, denn da stand ein mir unbekannter Typ mit weit aufgerissenen Augen am Mikro und sang von Massenkompatibilität. Ohne zu blinzeln! Und von 30jährigen Pärchen. Obwohl, in meiner Erinnerung, die aber ja bereits auf den Tag genau einige Zeit zurückliegt, saß dieser Typ auf einem Bürostuhl hinterm Keyboard und sang. War also entweder doch eine andere Show, oder es waren noch weitere Lieder. Wie auch immer, der Eindruck, den der komisch-tragische Vortrag auf mich machte, ließ mich vor allem im Videotext nachgucken, wer denn da sang. Damit ich später bei Youtube recherchieren konnte.

Jawohl, Youtube. Wer auch immer dafür Sorge trägt, daß sehr viele Musikvideos auf Youtube für Benutzer in Deutschland, mithin also für mich nicht verfügbar sind, ist töricht. So töricht, wie Rainald Grebe, der Hellsichtige, selbstverständlich nicht ist; auf seiner Homepage wird schlicht selbst auf Grebe-Videos bei Youtube verlinkt, und zwar zu Recht. Denn wer sich Musikvideos auf Youtube ansieht, kauft sich vielleicht nicht die entsprechenden Tonträger, vielleicht aber auch doch, weil er durch Youtube erst auf den Geschmack gekommen ist. So wie ich, und dies schon mehrfach.

Da ein Grebe ja kein Dürer ist, besticht seine Musik nicht durch die Koloratur, sondern durch die Texte. Diese sind schlau, respektlos und auf den Punkt. Mit einem Wort: Sie sind witzig. Das schließt einen Hauch von Tragik keineswegs aus. Rainald Grebe hält uns den Spiegel vor und läßt uns in den Abgrund blicken. Dabei schert er sich keinen Deut um „politische Korrektheit“, und zwar in zweierlei Hinsicht; weder scheut er sich, Unliebsames in Worte zu fassen, noch legt er es meiner Wahrnehmung nach darauf an zu provozieren, was ihn aufs Angenehmste von den Berufspolitischinkorrekten unterscheidet und vor jedweder Vereinnahmung durch irgendwen schützt. Er ist ein Narr im besten Sinne. Einen Hang zum Absurden würde er wohl selbst nicht leugnen, und ich vermute, daß ihm das Œuvre Helge Schneiders nicht unbekannt ist. Denkzwänge sind ihm so fremd, daß ich den Mann in meinem Luftraum rauchen lassen würde, um mich nicht selbst durch meine Engstirnigkeit zu beschämen. Künstler dürfen, nein! sie müssen! auf der Bühne und auch sonstwo rauchen, das sehe ich ein. Beim leider bisher einzigen von mir besuchten Grebe-Konzert („1968“) hat er sogar eigens einen Rauchertisch fürs Publikum eingerichtet, harhar.

Unbedingte Erwähnung finden soll aber auch die Zweimannkapelle der Versöhnung, bestehend aus Martin Brauer und Marcus Baumgart, die aus einem satirischen Liederabend mit Klavierbegleitung ein veritables Rockkonzert werden läßt. In jüngster Zeit erweitert der Meister die Kapelle auch zum versöhnlichen Orchester und füllt Waldbühnen oder Admiralspaläste. Weil es ihm so gefällt. Überhaupt tut er nur, was ihm gefällt. Wenn sich jemand diese Freiheit nimmt und damit durchkommt, ist das geeignet, ihm Bewunderung einzutragen, auch meine. Da bekenne ich mich gerne zum Fan-Sein.

Sicherheitshalber sei die Huldigung an dieser Stelle abrupt beendet.