Wie der Ball auch kommt, wie der Schuß auch fällt.

8. Juli 2012

Nun (vor drei Tagen, aber im Ergebnis gilt es ja auch noch nun) hat die FIFA sich also dazu durchgerungen, technische Hilfsmittel bei der Bewertung strittiger Situationen zuzulassen. Das Regelkommitee des Fußball-Weltverbandes gilt gemeinhin als ähnlich aufgeschlossen gegenüber Neuerungen wie die römische Kongregation für die Glaubenslehre, daher ist dieser Beschluß sensationell, wenn er auch nach dem nicht anerkannten Treffer der Ukraine gegen England irgendwie in der Luft lag. Selbst die FIFA-Funktionäre leben ja in einer Welt, in der es meinungsstarke Massenmedien gibt.

Dieselben Menschen, die, ob katholisch oder nicht, sich darüber mokieren, daß die Kirche eine solche Glaubenskongregation hat und Jahrtausende alte Dogmen aufrechterhält, sind durchaus in der Lage, sich in Sachen Fußball ebenso konservativ zu zeigen. Für manche ist Fußball ja sowieso eine Religion.
Jedenfalls. Man hört von Anhängern des unmodernen Fußballs gerne (bzw. ungern, aber häufig) das Argument, Fehlentscheidungen seien doch das Salz in der Suppe! Wembleytor! Wo wäre Deutschland, wo wäre die gesamte Fußballwelt ohne dieses Wembleytor? Mythen- und Legendenbildung, Gesprächsstoff für Generationen, hach!

Zugegeben, derlei Legenden sind das Salz in der Suppe. Aber der Mensch lebt nicht vom Salz allein; letztlich geht es um die Suppe. Und die Substanz der Suppe ist: Tore erzielen und Spiele gewinnen. Wenn eine Mannschaft den Regeln gemäß Fußball spielt, Energie und Spielwitz aufbietet, um zum Torerfolg zu kommen, und dies auch schafft, dann hat dieses erzielte Tor Anerkennung zu finden. Und sollte allen direkt das Spiel beobachtenden menschlichen Augen entgangen sein, daß der Ball den Regeln entsprechend die Torlinie überquert hatte, dann müssen eben technische Hilfsmittel zu Rate gezogen werden. Wenn’s der Wahrheitsfindung dient.

Der Schiedsrichter, offenbar der Hüter der Menschlichkeit, hat noch genügend Gelegenheit, diskussionswürdige Fehlentscheidungen zu treffen. Die Hand Gottes, Maradonas Handtor gegen England im Viertelfinale der Weltmeisterschaft 1986 (Irgendwie ist immer das Mutterland des Fußballs an solchen Sternstunden der falschen Entscheidung beteiligt.), wäre auch durch den Chip im Ball nicht verhindert worden, denn daß der Ball jenseits der Torline war, stand ja nicht zur Debatte.

Hm. Sollte ich jetzt etwa dem Videobeweis das Wort reden? Jein. Ganz sicher ist jegliche Umsetzung des Videobeweises unsinnig, die mit Spielunterbrechungen oder gar einem gewissen Kontingent an einforderbaren Videobeweisen pro Mannschaft einhergeht, wie es zuweilen diskutiert wird. Letzteres ist Blödsinn, da die Zahl der strittigen Entscheidungen größer sein kann als die erlaubte Anzahl an Videobeweisen, zum Beispiel 3. Dann hat sich dreimal im Videobeweis herausgestellt, daß die Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters zutreffend gewesen war, aber die vierte, leider objektiv falsche Entscheidung darf gar nicht mehr begutachtet werden, weil das Kontingent ausgeschöpft ist. Das kann’s ja nicht sein.

Überhaupt können Spielunterbrechungen nicht das Mittel der Wahl sein. Beispiel: Eine vermeintliche Abseitsstellung wird abgepfiffen, die einem Angreifer eine gute Torschußmöglichkeit geboten hätte. Im Videobeweis stellt sich heraus, es war ganz knapp nicht Abseits, es hätte nicht abgepfiffen werden dürfen, ein aus dieser Position erzieltes Tor wäre regulär gewesen. Und nu? Die aussichtsreiche Situation läßt sich ja nicht wieder herstellen, die Torchance ist also auf jeden Fall verpufft, der Videobeweis hat nichts genützt.
Der ebenso zweifelhafte Gegenentwurf wäre, jede Situation erst bis zum Torabschluß durchspielen zu lassen, auch wenn der Linienrichter eine Abseitsposition erkannt hatte und die Fahne hob, dann erst am Bildschirm nachgucken, ob alles regulär war und eventuell der jubelnden Zuschauerschaft klarmachen, daß das Tor leider nicht anerkannt werden kann. Tja, dann war’s das mit spontanem Jubel.

Nein, die Entscheidung muß ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung direkt in der Situation fallen. Und wie das geht, hat die UEFA während der Europameisterschaft 2008 schon getestet. Wie der sehenswerte Film „Referees at Work“ zeigt, ist es möglich, die Schiedsrichter während des Spiels zu verkabeln und über den Knopf im Ohr mit ihnen zu kommunizieren. Der Film zeigt außerdem, wie der vierte Offizielle von außen Einfluß auf die Entscheidungen des leitenden Schiedsrichters auf dem Platz nimmt. So weist er beispielsweise den Schiri an, zwei Spielern die gelbe Karte zu zeigen.
Auf diese Weise könnte auch der Videobeweis funktionieren. Ein oder zwei Offizielle sehen sich das Spiel zeitgleich am Bildschirm an und geben dem Schiedsrichter auf dem Platz in schwierigen Situationen Hinweise wie: „Maradona Handspiel“, die dann unmittelbar als Tatsachenentscheidung im Spiel umgesetzt werden (Handtor nicht anerkannt), ohne Unterbrechung, ohne Zeitverzögerung. Sicherlich würde es auch weiterhin Fehlentscheidungen geben, weil ja selbst Fernsehbilder nicht Aufschluß über jede Situation geben, aber die Anzahl von Fehlentscheidungen ließe sich zumindest reduzieren. Wär’ das so schlimm?

Schienbein 04 gegen Meniskus Kickers.