Buch der Woche: Die goldene Liederfibel

27. Oktober 2009

Wer in einem behüteten Elternhause die ersten Schritte ins kulturelle Leben zu gehen die Gelegenheit hatte, wird sicherlich in der einen oder anderen Form frühzeitig mit traditionellem Liedgut in Kontakt gekommen sein. Und nicht nur der. „Alle meine Entchen“, „Hänschen-klein ging allein“ und „Ein Männlein steht im Walde“ kennt ja annähernd jeder, wenn auch mit zunehmendem Alter die Textsicherheit schwindet. Nachlesen kann man die Texte dann in einer Liederfibel. Eine solche befand sich auch in meiner frühen Jugend in meinem Besitz, zumindest fast. Denn das schön gestaltete Buch durfte ich nur unter Aufsicht durchblättern. Ehe ich lesen lernte, war ich aber sowieso auf meine Mutter als Vorleser- und -sängerin angewiesen. Freilich, das Alphabet zu rülpsen, brachte ich mir schließlich selbst bei, doch bot das Lied „A, B, C, die Katze läuft im Schnee“ dafür die unerläßliche Grundausbildung.

Ganz klar, eine Liederfibel richtet sich an Kinder. Was läge also näher, als daß Lego, ein bekannter Hersteller von Kinderbespaßungs- gegenständen, ebenfalls solch eine Fibel auf den Markt brächte? Richtig, nichts. Darum taten sie’s. Aber natürlich hat Lego auch den Anspruch, ein gediegeneres Publikum zu bedienen. Legos goldene Fibel ist blau und richtet sich nicht an irgendwen, sie richtet sich an Prinzessinnen.

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Gut, Herzchen, Krönchen und so. Etwas verkitscht vielleicht. Aber Lego muß halt auch dem Publikumsgeschmack Rechnung tragen. Kleine Prinzessinnen wollen es so. Und es kommt ja auf den Inhalt an. Der Inhalt wurde bereits im Jahre 1822 von Adolf Bäuerle zu Wenzel Müllers Melodei gedichtet und lautet folgendermaßen:

Kommt ein Vogel geflogen,
Setzt sich nieder auf mein’ Fuß.
Hat ein Zetterl im Schnabel,
Von der Mutter einen Gruß.

Lieber Vogel, fliege weiter!
Nimm ein’ Gruß mit und ein’ Kuß.
Denn ich kann dich nicht begleiten,
Weil ich hierbleiben muß.

Kennt man, woll? Die nur spärlich verwöhnten Prinzessinnen aus Set 5834 nun auch.


Wir sind die Bösen!

20. Oktober 2009

Also wir Adlerritter. Was wir uns nie einge- stehen wollten – nun ist es offiziell. Wer’s nicht glaubt, der lese es nach. Denn mit englischen Zungen gezwitschert, gedruckt und zwischen zwei Buchdeckel praktiziert, so steht es nun da:

Bad Boys · The Black Falcon sub-theme was introduced in 1984 when they defeated the knights after several brutal battles. These sinister soldiers roamed the LEGO universe until 1992, though in 2002, they were brought back for a special reissue of the Black Falcon’s Fortress set.

So also heißt es auf Seite 20 in dem sehr schön aufgemachten und grundsätzlich höchst angemessenen Buch Standing Small – A Celebration of 30 Years of the LEGO® Minifigure, herausgegeben von Nevin Martell. Das Buch ist Teil eines Schubers, der außerdem und eigentlich The LEGO® Book enthält, worin sich irgendwo ein Bild von mir befindet, weshalb ich den Folianten freundlicherweise frei Haus zugeschickt bekam.

Klick mich, ich bin ein Link! Es wäre nicht verkehrt gewesen, mich mal korrekturlesen zu lassen, sage ich mal ganz unbescheiden. Ich habe das Werk bisher nur grob überflogen, aber neben wunderschönen Bildern drängten sich Ungereimtheiten ins Aug’, die von bloßer Unachtsamkeit über kühne Behauptungen bis hin zu blankem Unsinn reichten. Als Unachtsamkeit möchte ich werten, daß auf Seite 17 zu dem Text „Sheriff · 1983“ ein Polizeimänneken von 1993 abgebildet ist. Ein Tippfehler, das kann passieren, und wenn der Lektor nicht vom Fach ist, fällt er ihm auch nicht auf. Eine kühne Behauptung hingegen stellt schon die oben zitierte Charakterisierung der Adlerritter dar. Von verschiedenen blutrünstigen Schlachten, in denen die Adlerritter schließlich die Löwenritter besiegt hätten, ist mir zumindest nichts bekannt; und ich verfolge Legos Burgenthema seit 1984. (Eine weitere kühne Behauptung ist auch dies: „Black Falcons typically wear black helmets with chinstraps“, was ich mit obigem Bilde widerlegt sehen möchte.)

Nun ist es ja ganz schön, wenn die Autoren die Geschichte der Minifig in phantasievollen Anekdoten erzählen, seien sie noch so erfunden, wie die Mär von den brutal battles. Ärgerlicher sind faktische Fehler, zumal, wenn das Buch quasi damit aufmacht. Bereits auf Seite 7 steht neben dem grandiosen Bild eines gelben Astronauten die Erläuterung: „Spaceman · 1979“. Die gelben Raumfahrer betraten allerdings erst 1982 den kraterübersäten Boden im Kinderzimmer. Oder, um bei meiner Heimatdisziplin „Burg!“ zu bleiben, erfährt der Leser auf Seite 23: „The Ghost first materialized in the Castle theme in 1992.“ Dem muß ich leider widersprechen, denn bereits im Jahre 1990 erhielt ich zur Konfirmation (!) das Spukschloß 6081, welches in der Tat das erste Nachtgespenst enthielt. Oder auch das zweite, wenn man den leuchtenden Schloßgeist 6034 als numerisch davor auffaßt. Es bleibt aber bei 1990.

Zu blankem Unsinn jedoch wird sich mit der.. nun ja.. Information.. verstiegen, daß Greedo™ „very rare“ sei (soweit noch nachvollziehbar), denn: „He was only released in Benelux“. Wer immer den Autoren diese.. nun ja.. Information.. gesteckt hat, lacht sich wahrscheinlich immer noch ins Fäustchen über seinen gelungenen Streich (Seite 68).

Von solchen vermeidbaren und sowieso nur uns, die wir uns nachgerade wissenschaftlich mit dem Thema Lego befassen, auffallenden Fehlern abgesehen, bietet das Buch aber einen Reigen schöner Nahaufnahmen von allerhand liebgewonnenen Minifigs. Als solches ist es eine verdiente Würdigung für die Lego-Figur, welche zu deren 30sten Geburtstag wirklich überfällig war. Zumal das Werk erst 2009 erschien, also eigentlich schon den 31. Geburtstag feiert. Aber macht ja nichts. Man darf sowieso nicht alles so ernst und wichtig nehmen, was darin geschrieben steht. Schade nur, daß viele weniger bewanderte Lego-Fans aber genau das tun werden.

Mit dem eigentlichen Hauptwerk, dem „LEGO® Book“, habe ich mich noch nicht näher beschäftigt. Es steht zu befürchten, daß ich auch in dieser Suppe so manches krause Haar finden und spalten werde. Aber ich darf das. Denn ich bin ja der Böse.

Nachtrag am 3. November 2009:

Im Rahmen meiner Recherchen für diesen Beitrag machte ich soeben die schockierende Entdeckung, daß die Ritterfiguren der gelben Burg 375, des Ritterturniers 383 und der Ritter mit Karren 677 komplett verschwiegen werden. Da wird großspurig das 30ste Jubiläum der Minifig zelebriert, und die prägnantesten Figuren des Geburts- jahrgangs läßt man untern Tisch fallen. Traurig.


Dublonen vor die Kühe

19. Oktober 2009

Naja, zugegeben, seine Frage wurde im Folgethread nicht beantwor- tet. Aber dennoch. Ts.


Buch der Woche: Die Kinder aus Bullerbü

14. Oktober 2009

Daß Astrid Lindgren viel zu früh verstarb, nämlich bereits im Januar 2002, ist ja hinlänglich beklagt worden. Daß sie nie den Nobelpreis erhielt, ebenfalls. Doch an diesen tristen Gedanken wollen wir uns gar nicht lange aufhalten, denn ihr Werk ist geprägt von Zuversicht und Humor, und kaum jemand verstand es wie sie, Kinder ernstzunehmen. In ihren Büchern wird nichts ausgelassen, die kleinen Leser werden nicht verzärtelt, sie werden nicht vor traurigen Ereignissen verschont. Da gibt es Waisenkinder, Kinder, die in verlauster Armut aufwachsen, mit saufenden Vätern, ja sogar Kinder, die todkrank sind und sterben. Doch Astrid Lindgren läßt nicht zu, daß wir darüber lange weinen, denn selbst in der verzweifeltsten Lebenslage können sich ihre Helden noch auf Freundschaft, Mut und Gutherzigkeit verlassen, niemand fällt ins schwarze Loch, der nicht mindestens in Nangijala wieder aufwacht. Zur Not auch in Nagilima. Die Welt von Astrid Lindgren ist gut.

Mit am besten ist sie aber unzweifelhaft in Bullerbü, einem winzigen Ort mit drei Häusern in, natürlich, Südschweden, zu einer Zeit, als die Bauern noch mit Ochsen pflügten und Kinder den ganzen Sommer über barfuß herumliefen, ohne daß ihre Eltern immer so genau wußten, was sie gerade anstellten. Und wenn sie was anstellten, war es auch kein Weltuntergang. Sonnenklar, daß dieses Paradies für Kinder auch von Lego nicht unbemerkt blieb, weshalb man in Billund dieses Buch druckte:

Leider sind in meiner Ausgabe, die natürlich aus der Bücherkiste vom Flohmarkt stammt, die Seiten etwas durcheinandergeraten. Das rechte Bild müßte das linke sein, denn los geht es natürlich mit den hinrei- ßenden Worten:

Ich heiße Lisa. Ich bin ein Mädchen. Das hört man übrigens auch am Namen.

Das linke Bild, das mit dem Hund, gehört nämlich zu der Geschichte wie Ole seinen Hund bekam, die ich hier kurz nacherzählen möchte.

Abseits des Ortes Bullerbü wohnt der Schuster, welcher Nett heißt, es aber nicht ist. Da er so allein ist, säuft er viel, ist mürrisch und hat einen Wachhund, einen scharfen Köter namens Swipp, der immer an seiner Hundehütte angebunden ist. „Das arme Vieh“, denkt da nicht nur der mitfühlende Leser, sondern auch Ole, der Junge vom Südhof. Der Knabe kann gut mit Tieren, und darum bringt er dem fiesen Köter, der alle Kunden des Schusters böse anknurrt und anbellt, immer einen Knochen mit, wenn er mal wieder kommt, um Schuhe abzuholen. Und er muß oft kommen, denn der versoffene Schuster braucht für son Paar Schuhe immer unverhältnismäßig lange. Ole schafft es, daß Swipp ihn nicht mehr anknurrt, und als Nett sich einmal den Knöchel verknackst und es nicht nach draußen zur Hundehütte schafft, um dem Tier sein Futter zu geben, fragt Ole, ob er sich nicht darum kümmern könne, solange der Schuster verhindert ist. Der hat nichts dagegen, und Ole bindet Swipp als erstes mal von der Hundehütte los, um mit ihm spazieren zu gehen. Jeden Tag gehen Ole und Swipp nun nach der Schule spazieren, und aus dem knurrigen Köter wird ein fröhlicher Hund, so lange, bis des Schusters Knöchel wieder verheilt ist. Damit wäre es mit der neugewonnenen Freiheit für Swipp beinahe vorbei gewesen, ja, wenn nicht Oles Vater den Hund für Ole gekauft hätte.

Eine Gechichte ohne Action und Spannung, könnte man meinen, aber als Kind habe ich mich dabei nicht gelangweilt. Die Kinder aus dem Scala-Haus 3119 langweilten sich ganz bestimmt auch nicht, als ihnen aus diesem Buch vorgelesen wurde.


1592 – Das Jahr, in dem wir Lego lieben lernten.

8. Oktober 2009

Außerdem segnete 1592 Michel de Montaigne das Zeitliche, in Form eines wahrscheinlich brillanten Essays. Diesen hätte er im Normalfall dennoch wegen erweiterter Lebenserfahrung und fortentwickelter Reflexion revidiert, aber da war er dann schon tot. Ansonsten geschieht im Jahre 1592 nichts, was nicht bloß Experten erinnerlich wäre. Na gut, Shakespeare schreibt irgendwas, irgendwer wird Papst, und irgendwer segelt an den Falklandinseln vorbei. Aber sonst war’s ein maues Jahr. Was ist es da für ein Glück, daß 1592 die Nummer von unser aller Lieblingssets ist.

Dieses Set hat alles, was das Herz eines Lego-Nostalgikers erfreut. Es ist farbenfroh und schön, es ist selten, man kann damit spielen, und wahlweise gibt es Eiscreme oder Fish and Chips. Was diesem Set jedoch zu fehlen schien, war ein Name.

Darum wurde es in für gewöhnlich gutunterrichteten Kreisen gemeinhin „die englische Stadt“ genannt, weil der Union Jack über dem Stadttor weht und das Fachwerk des Buchladens ebenfalls sehr englisch anmutet. Doch im Lego-Katalog stand es ja nicht, also ist kein offizieller Name bekannt. Schließlich fand Heikoloogi in einem 1983er Vedes-Katalog die Bezeichnung „Stadtmilieu“, welche dann auch in den Lego-Sammlerkatalog Eingang fand.

Doch die Geschichte Legos muß neu geschrieben werden! Denn, surprise!, nun blätterte ich gestern zufällig in einem Lego-Katalog von 1982, der sich als englischer herausstellte. Und was findet sich da auf Seite 12?
Klick mich, ich bin ein Link! „Carnival Scene“ ist also der offizielle Name. Gerne würde ich den Katalog inklusive Printnummer korrekt zitieren, aber auf der Rückseite befand sich ein Wunschzettelvordruck zum Ausschneiden, und den hat das vorbesitzende Kind auch benutzt. (Das Bild kann übrigens durch Anklicken vergrößert werden. Freilich läßt die Druckqualität des Katalogs keine grö- ßere Anzahl an Bildpunkten zu.)

Das legendäre Set war also offiziell im Katalog. Doch warum erst 1982? Die ©-Angabe auf der Bauanleitung spricht doch von 1980? Nun, ein Sonderset ist es und bleibt es, das wird ja schon an der Setnummer deutlich. Auch ist es in diesem Katalog nicht in die Reihe der normalen Sets eingeordnet, sondern erhielt einen Sonderplatz am Rand. Bevor es verspätet aber regulär ins Sortiment der englischen Spiel- warenläden aufgenommen wurde, diente es als Promoset für… laßt mich nicht lügen… Unilever, Weetabix, Persil. Halt irgendwie sowas. In Deutschland war es nur bei Vedes erhältlich, und das ebenfalls verspätet. Meine Mama kaufte es sogar erst im Januar 1984, als Restposten. Und als Ersatz für die neuen grauen Burgen des Jahres 1984, die natürlich erst nach meinem Geburtstag in die Läden kamen. Es hätte schlimmer kommen können.

Nachtrag am 11. Oktober:
Jan.K liefert die fehlenden Informationen nach: Demzufolge hat der Katalog die Printnummer 93.300-UK, und das Set war ein Weetabix-Promo. Vielen Dank!