Nachdem das Album „Dark Side of the Moon“ (DSOTM) im Jahre 1973 ein weltweiter Verkaufsschlager gewesen war, konnten sich die Jungs von Pink Floyd zunächst nur mit Mühe dazu aufraffen, sich abermals an die Arbeit zu einer weiteren Platte zu begeben, zu groß war die Last des Erfolgs. Aber half ja nichts, die Sache wollt’s. Im Januar 1975 überquerten die vier die Abbey Road, um das Studio zu entern.
Whish You Were Here
War DSOTM ein Konzeptalbum über die großen Fragen des Lebens gewesen, so gab sich Pink Floyd nun introspektiver. Den Hauptteil des Albums nimmt die Beschäftigung mit dem vormaligen Band-Kollegen und Freund Syd Barrett ein, welcher das zeittypische Rockstar-Leben der späten 60er Jahre nicht unbeschadet überstanden hatte. Kurz hatte sein Stern aufgeblitzt, hatte sein Talent als Song-Schreiber und Gitarrist zu mehreren erfolgreichen Singles und einem sehr beachtenswerten Debütalbum geführt, dann erlag sein einst wacher Geist dem Einfluß bewußtseins- ..nun ja.. -verändernder Drogen, und seine Persönlichkeit änderte sich in dem Maße, daß er für die Band als kreativer Inputgeber und verläßlicher Live-Musiker nicht mehr tragbar war. Zunächst holte man David Gilmour als zusätzlichen Gitarristen in die Band und spielte bei Auftritten um Syd herum, während dieser teilnahmslos an seinem Mikro stand. Da das kein akzeptabler Zustand war, holten die anderen vier ihn irgendwann gar nicht mehr ab und absolvierten die Auftritte ohne ihn. Zum zweiten Studio-Album steuerte er mit „Jugband Blues“ noch einen Song bei, dann wurde er gefeuert und führte fortan ein zurückgezogenes Leben in der Obhut seiner Mutter.
Der Umgang der verbliebenen Mitglieder Pink Floyds mit Syd Barrett war, gelinde gesagt, unglücklich. Halbherzig unterstützten sie ihn im Jahre 1970 noch bei der Produktion zweier Soloalben, dann brach der Kontakt weitgehend ab, unter dem Vorwand, das dies besser sei für Syd. Doch das schlechte Gewissen nagte, und das Schicksal des einstigen Freundes hing fortan wie eine Nemesis über dem Schaffen von Pink Floyd.
Im Jahre 1975 war das alles noch gar nicht so lange her, wie es aus heutiger Sicht scheint. Und dennoch. Während sie so im Studio saßen und musikalische Vergangenheitsbewältigung betrieben, fiel ihnen irgendwann ein Typ auf, groß, kahlgeschoren und aufgedunsen, den niemand zuordnen konnte. Bis sie schließlich – genau – Syd Barrett erkannten, der die Band besuchte, während sie an Songs über ihn arbeitete. Von großem Hallo und Wiedersehensfreude wird indessen nicht berichtet, die Situation war wohl vor allen Dingen awkward.
Das Album umfaßt vier Lieder, wiewohl der Song „Schine On You Crazy Diamond“ mit einer Gesamtlänge von fast 26 Minuten zweigeteilt wurde und als atmosphärische Anfangs- und Schlußsequenz die übrigen drei Stücke einrahmt. Als verrückter Diamant wird hier Syd Barrett besungen, man ahnte es. Die Songs „Welcome To The Machine“ und „Have A Cigar“ können als Abrechnung mit der Pattenindustrie aufgefaßt werden. Ersterer behandelt den zynischen Umgang der Produzenten mit den Ambitionen junger Musiker, denen man ein ausschweifendes Starrummelleben verspricht, was man ebenfalls – vielleicht überinterpretierend – auf Syd Barrett beziehen könnte. Der andere entlarvt die Musikbranche als das, was sie ist, nämlich weder an der Kunst interessiert noch an den Künstlern, sondern einzig am finanziellen Erfolg; und der ist umso größer, je weniger man in die Qualität der Musik investiert, nimm dir ’ne Zigarre! Als Gastsänger fungiert hier Roy Harper. Auf die Idee, Syd Barrett in die Produktion dieses Albums einzubeziehen, wo er doch schon mal da war, kam offenbar niemand.
Und während Syd also da saß, zugegebenermaßen nur einen Tag, und seinen alten Kollegen bei der Arbeit zusah, heißt der Titelsong „Wish You Were Here“. Der Text ist verklausuliert, aber die Titelzeile ist eindeutig. Selbst als er körperlich anwesend war, früher als Bandmitglied, nun als unerwarteter Besucher, so war er doch geistig ganz weit weg. Das war schockierend und traurig, aber irgendwie mußten Waters, Gilmour, Wright und Mason damit umgehen.
Der Song taugt auch ohne den Syd-Barrett-Kontext als – sagen wir – Liebeslied, und ist auch heute noch bisweilen im Radio zu hören, weshalb er neben „Another Brick In The Wall“, „Time“ und „Money“ zu den allgemein bekannteren Songs Pink Floyds zählt.
Und dann ist da ja noch Hipgnosis, die Graphikagentur, verantwortlich für unzählige ikonische Plattencover, unter anderem von Pink-Floyd-Alben. Der thematische Inhalt dieser Alben interessierte Storm Thorgerson und Kollegen selten, wenn es um die visuelle Repräsentation dieser Musik ging. Während Pink Floyd auf „Wish You Were Here“ gegen die Dämonen ihrer Geschichte antraten, machte Hipgnosis sein eigenes Ding.
Auf den vier Seiten der Plattenhülle – Vorder- und Rückseite der Außen- sowie Vorder- und Rückseite der Innenhülle – sind die vier Elemente dargestellt. Als ich vor langer Zeit die Bilder aufnahm, wußte ich noch nicht, was ich dazu schreiben würde, darum habe ich die Rückseiten nicht abgelichtet. Zu sehen sind Feuer und Luft (Wind). Als zusätzliches Gimmick lag der Schallplatte eine Bildpostkarte bei, die das Wasser-Motiv wiederholt:
Gewiefte Wicca-Praktizierende mögen die Verbindung sehen zwischen den vier Elementen und irgendwelchen Dämonen. Da hier die Darstellung des Elements „Erde“ fehlt, fügen wir es musikalisch in Gestalt eines Diamanten hinzu. Shine on!
Wie aus Band-Kreisen verlautbarte, war dies das letzte Pink-Floyd-Album, bei dem sich alle vier (aktiven) Mitglieder kreativ einbringen konnten. Insbesondere Rick Wrights Tasteninstrumente tragen weite Teile der Kompositionen.
Animals
Zwei Jahre später veröffentlichten Pink Floyd das letzte Album, welches vor meiner Geburt entstand, wenn auch knapp, immerhin im selben Jahr, 1977. An dieser Stelle müßte ich das Bild wieder hervorkramen, welches ich schon zuvor als Symbolfoto für Pink Floyd ver(sch)wendet hatte, das aber eindeutig dem Album „Animals“ zugeordnet ist:
Dieses Mal hat das Plattencover, wiederum gestaltet von Hipgnosis, einen deutlichen Bezug zum Inhalt des Albums. Schweine spielen eine Rolle. Und durch die vier Schornsteine wirkt die Battersea Power Station, das alte Londer Heizkraftwerk, wie ein auf dem Rücken liegendes, totes Tier. Gleichzeitig wird durch den Art-Deco-Stil des Gebäudes, steil und bedrohlich ausgeführt als „Ziegel-Kathedrale“, ein Gefühl des Unbehagens erzeugt. Dessen ungeachtet fand ich das Titelbild mit dem ersten Ansehen sehr schön, wie gemalt. In Vor-Internet-Zeiten kannte ich die Battersea Power Station natürlich gar nicht und hielt das Bild für ein Produkt der Phantasie. Aufgrund der optischen Attraktivität des Titelbildes war „Animals“ wahrscheinlich eine meiner frühesten Pink-Floyd-Erwerbungen.
Vor dem Hintergrund der Erwartungen, die sich aus meinen bisherigen Höreindrücken (Wall, DSOTM, Piper At The Gates Of Dawn) speisten, war ich beim Erklingen des ersten Songs zunächst etwas enttäuscht. „Pigs On The Wing“ ist ein kleines, akustisches Gitarrenstück, das alles vermissen ließ, was ich zu schätzen gelernt hatte: elegische Keyboard-Passagen, ausschweifende Gitarren-Soli, vernehmbaren Bass und elaboriertes Schlagzeugspiel. Doch ist es nur der Auftakt. Es folgt der Song „Dogs“. Dieser bietet alles, was ich erwartet hatte, bloß besser.
Thematisch lehnt sich „Animals“ an George Orwells „Farm der Tiere“ an, ohne jedoch eine direkte musikalische Umsetzung des Romans zu sein; vielmehr diente dieser Roger Waters als Inspiration für eine eigene sozialkritische Parabel. Oder Fabel. Die Hunde sind hier die rücksichtlosen, kapitalistischen Herrscher, Zyniker, die über Leichen gehen und am Ende einsam und verbittert zugrundegehen. 17 Minuten dauert das Lied. Es folgt „Pigs (Three Different Ones)“ mit 11 Minuten 20. Die Schweine sind hier die bigotten Politiker, denen man nicht über den Weg trauen kann, da sie nicht unsere Interessen im Sinn haben. Namentlich angesprochen wird Mary Whitehouse, eine konservative britische Aktivistin zur Entstehungszeit des Albums. Durch die Nennung des Namens ist der Song thematisch nicht unbedingt zeitlos, aber musikalisch über jeden Zweifel erhaben.
„Sheep“, ebenfalls über 10 Minuten lang, beginnt mit einem sehr entspannten Piano-Intro, für das Rick Wright eigentlich einen Writing Credit verdient gehabt hätte, welcher ihm aber verweigert wurde. Bis auf „Dogs“, für das David Gilmour einen Credit bekam, ist bei allen Songs des Albums nur Roger Waters als Autor ausgewiesen, eine Tendenz, die sich auf den folgenden Alben fortsetzen sollte. Die Schafe, um bei „Animals“ zu bleiben, sind natürlich die ahnungslosen Schafsköppe, die sich von den Hunden und Schweinen an der Nase herumführen lassen. Den Abschluß des Albums bildet die zweite Strophe von „Pigs On The Wing“. Erst im Zuge meiner recherchierenden Beschäftigung mit dem Album zur Vorbereitung auf diesen Artikel erfuhr ich, daß die 8-Track-Version von „Animals“ eine andere Version dieses Songs enthielt, sozusagen die Vollversion an einem Stück mit Gitarrensolo.
Als Höreindruck wählen wir mal „Sheep“, und sei es nur fürs Intro, offiziell von Pink Floyds Youtube-Channel:
Vor der Schlußbemerkung gönnen wir uns auch hier noch einen Blick auf die Schapllplatte. Auf ihr kommt das grandiose Titelbild naturgemäß besser zur Geltung, was hier im Internet freilich ohne Auswirkung bleibt. Die Innenhülle zeigt alle Songtexte in Nick Masons Handschrift.
Gegenwärtig ist das Gebäude in einem traurigeren Zustand, als es die Schwarzweiß-Fotos im Gatefold zeigen. 1977 war das Kraftwerk noch in Betrieb (bis 1983), die Maschinenhalle hatte noch ein Dach. Während der Aufnahmen fürs Plattencover riß sich der Schweineballon los und nahm Kurs auf Heathrow, Polizeihubschrauber nahmen die Verfolgung auf, ein Scharfschütze bereitete sich darauf vor, das Schwein brutal abzuknallen. Doch schließlich landete es auf einem Bauernhof in Kent, wo es die dort ansässigen animals und den freilaufenden Bauern in Aufregung versetzte.
Schlußbemerkung
Auf „Animals“ folgte „The Wall“ mit all dem Drama. Richard Wright nahm an den Aufnahmen teil, verließ die Band, wurde als bezahlter Tourmusiker für die Wall-Aufführungen engagiert und dann endgültig gefeuert. Das besiegelte das Ende der klassischen Periode im Band-Leben Pink Floyds. Dannach kam aber noch so allerhand, dem wir uns zu einem späteren Zeitpunkt widmen werden.
Für interessant erachte ich einen Blick auf die Sequenzierungen der einzelnen Alben, also auf die Song-Aufteilungen. Die ersten beiden Alben und die Soundtracks „More“ und „Obscured by Clouds“ sowie die Compilation-Albums sind da weniger auffällig. Sie enthalten der Reihe nach Songs von mehr oder weniger handelsüblicher Länge. Doch dann geht’s los:
„Ummagumma“ ist ein Doppelalbum, dessen erste Scheibe vier Live-Aufnahmen enthält, und dessen zweite Scheibe vier Solo-Beiträge der einzelnen Band-Mitglieder umfaßt, bzw. fünf, da Roger Waters zwei Songs beisteuerte. So weit, so ungewöhnlich.
„Atom Heart Mother“ füllt die komplette A-Seite mit dem über 20-minütigen Titelstück, auf der B-Seite befinden sich vier Songs von üblicher Länge.
„Meddle“ hat auf der A-Seite fünf „normale“ Songs, dafür füllt „Echoes“ mit über 20 Minuten die komplette B-Seite aus.
„Dark Side Of The Moon“ beinhaltet zwar neun Stücke von unauffälliger Länge, jedoch gehen diese ineinander über, so daß A- und B-Seite sozusagen jeweils einen einzigen Track von um die 20 Minuten enthalten.
„Wish You Were Here“ beginnt und endet mit dem ersten und zweiten Teil eines Songs, jeweils über 10 Minuten lang, dazwischen drei Lieder von üblicher Länge.
„Animals“ beginnt und endet mit dem ersten und zweiten Teil eines Songs, diesmal unter zwei Minuten lang, dafür umrahmt er drei Lieder von über 10 Minuten Länge.
Und „The Wall“ schließlich ist ein Doppelalbum mit einzelnen Songs, die aber einem durchgehenden Konzept folgen, deren Reihenfolge also nicht willkürlich ist.
Offenbar war die Band bemüht, die Sequenzierung abwechslungreich zu gestalten und Wiederholungen zu vermeiden. Wäre „Shine On You Crazy Diamond“ nicht geteilt worden (wie David Gilmour es bevorzugt hätte), hätte sich die formale Wiederholung von „Atom Heart Mother“ oder „Meddle“ ergeben. Und „Pigs On The Wing“ in der Vollversion wäre nur ein uspektakulärer Song neben drei spektakulären Zehnminütern gewesen, so jedoch kommt ihm als „Bookends“ eine Rahmenfunktion zu. Das kann alles kein Zufall sein. Oder vielleicht auch doch. Gute Nacht!