Gemäß einer von mir selbst gestreuten Legende erhielt ich dieses Set zu meinem Geburtstag im Ausgabejahr 1983, was nun weidlich vierzig Jahre her ist. Da die Erinnerung aber die Kindheit zu einem zeitlich nicht klar unterschiedenen Ewigkeitsbrei verklärt, mag es auch der Geburtstag im Folgejahr gewesen sein. So oder so fand die erste Begegnung mit dem Set im 1983er Lego-Katalog statt, wo wir lesen können:
„Ferien-Villa mit Sonnenterrasse, Gartenmöbeln, Auto und Gästen. – (Neuheit. Lieferbar ab Januar 1983)“
Klar, die Legoland-Stadt ist ein dänisches Feriendorf; einfach nur alltäglich zu wohnen, wäre zu trist und zu langweilig.
Naturgemäß wünschte ich mir dieses schöne Modell zum Geburtstag. Dankenswerterweise war es ja ab Januar erhältlich, was bei späteren Geburtstagswünschen nicht mehr so gut aufging. 1984, die neuen Ritter, erhältlich ab April. 1989, die Piraten, erhältlich erst ab Mai. Aber hier war die Welt noch in Ordnung.
So in Ordnung war die Welt da noch, daß noch der Mann am Grill stand und brutzelte, während die Frau bewundernd danebenstand. (Heutzutage undenkbar. Nämlich das Bewundern. Die Kerle stehen immer noch am Grill.)
Die Frau ihrerseits war noch handarbeitlich bewandert und ließ es sich nicht nehmen, ihre Garderobe selbst zu schneidern. Und was läge da näher, als sich stilistisch der Markise und dem Sonnenschirm des gebuchten Ferienhauses in Dänemark anzupassen? Eben, nichts läge näher!
Ebenso war etabliert, daß der Herr der Schöpfung die Verfügungsgewalt über das Automobil besaß. Außer bei uns, da saß immer Mama am Steuer, bis auf das eine Jahr, wo sie sich den Arm gebrochen hatte und darum Papa uns in den Urlaub fahren mußte. Blut und Wasser haben wir geschwitzt!
Aber unser unbenamster Set-Protagonist händelt die Situation virtuos.
Die Zypresse, von mir damals „Pappel“ geheißen, wurde von Lego stets nur sehr zaghaft im Sortiment verteilt, jedoch war 6374 zu diesem Zeitpunkt schon das sechste Set, welches eine enthielt. Auf das sechste Set kommt ihr nie! (Jaja, die Cheater bemühen die Datenbanken.)
Einen Urlaubstag in der Sonne Jütlands verbringt man bevorzugt im Freien. Abends schließt man dann die Fensterläden und zieht die Markise ein, um den Tag in der gemütlichen Behausung ausklingen zu lassen. Den untersten weißen 1×1-Stein des Markisenpfostens ersetzte ich als Kind natürlich durch einen blauen Einer. Lego hat es immer schon verstanden, mich zu triggern.
Mir ist bewußt, daß die Hausnummer der Setnummer entspricht. Aber es ist schon von komischer Ironie, daß so in der an Wohnbehausungen stets armen Legoland-Stadt eine weitaus höhere Bebauungsdichte vorgegaukelt wird. Nach 373, 6365 und 6372 war dies das vierte Haus der Stadt im Minifigzeitalter. Nun ja, die restlichen siebzig Häuser in der Straße mußte sich das Kind halt selbst bauen, is‘ ja Lego!
Während es das Privileg des Mannes ist, im Freien ..äh.. zu kochen, also am Grill, ist es die Pflicht der Hausfrau, im Innern die Küchengeräte (wahrscheinlich von „Privileg“) zu bedienen. Wir reden hier von 1983. Die Grünen zogen in den Bundestag ein, und die Herren von der CDU/CSU beömmelten oder – wahlweise – empörten sich über strickende Bartträger.
Der Glastisch war ebenso eine Sensation wie der transparente Minifigkopf als Tischleuchte. Freilich soll man sie gemäß Bauanleitung ungünstig platzieren: Die Minifig weiß ihre Arme nirgends zu lassen.
Darum erlaubte ich mir, die Lampe zwischen einen Noppenvierer zu versetzen, derweil die züchtige Hausfrau waltenderdings die Reste vom Grillnachmittag serviert.
Im Wohnbereich der Ferien-Villa ist es etwas zugig, denn die Markise erfordert einen Spalt unter der Decke.
Apropos Decke. Ich könnte unter selbige gehen! Du weißt, daß du die Kontrolle über deine Legosammlung verloren hast, wenn du an allen möglichen Stellen nach einem bestimmten Teil suchst, und es nicht findest. Denn.
Das gezeigte Exemplar des Sets 6374 kaufte ich später als Sammler nach, und es ist komplett. Das Set, welches ich an meinem Geburtstag im Jahre 1983 aus dem Karton zog, wies hingegen einen Makel auf. Es lag nämlich anstelle einer weißen 6×8-Platte, welche im Fußboden des Dachgeschosses verbaut werden soll, eine blaue 4×8-Platte bei. Und meine Kindheitslegosammlung erlaubte es nicht, so ein fehlendes Teil einfach mal so aus dem Bestand zu ersetzen.
Aber! Nur wenig später lag das Glück auf der Straße. Es lag dort nämlich eine weiße 6×8-Platte, etwas dreckig und wohl schon von Autos überrollt, und es handelte sich auch um ein älteres Exemplar mit Waffelmuster, aber natürlich hob ich sie auf, um sie einzubauen. In dem Moment wußte ich: Es gibt einen Gott! Und jetzt finde ich exakt dieses Teil in meinem Lego-Lager nicht wieder. Grund genug, um vom Glauben wieder abzufallen.
Im Lande der Velux-Fenster werden Dachfenster selbstverständlich gekippt. 1983 war dies ein neues Teil, und der Einbau erforderte eine gewisse Fingerfertigkeit.
Immerhin, es gibt ein Ehebett. Mnifigs sind aber entweder nicht für die Ehe geschaffen, oder sie müssen sich irgendwie arrangieren. Außerdem schlafen sie immer in ihrer Tageskleidung. Und eine Waschgelegenheit gibt’s nicht. Schon gut, daß sie keine Nasen haben.
Die Dachform fand ich immer äußerst elegant. Später frug ich mich überdies, ob sowas gemeint war mit dem „Doppeldachhaus“, in dem Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland lebte und starb?
Im Schiebekarton liegt die Grundplatte unter dem weißen Einschuber in der Außenhülle.
Wie üblich zeigt die Kartonrückseite vielfältige Anregungen für Umbauten. Es nützt freilich nichts, aus diesem Set die fehlenden siebzig Wohnhäuser zu bauen, denn es gibt ja nur die Hausnummer 74.
Neben der sorgsam gefalteten Bauanleitung lag (vermutlich) auch ein Legoland-Katalog bei. Aus diesem erfahren wir, daß der dänische Tourismusverband dieses Haus in Frankreich als „La maison de campagne“ und in Italien als „Villa di campagna“ bewirbt.
In diesem Sinne: Schönen Urlaub!