Das Konzept „zerbrochene Bierflasche“ verstehe ich nicht. Es leuchtet mir nicht ein. Wo ist der Sinn, wo der Zweck, welches sind die Beweggründe, was versprechen sich die Menschen davon? Und, die Frage, die man grundsätzlich bei jedem Vorgang in der Gesellschaft stellen sollte: Wem nützt es und wem schadet es?
Ich mein‘, das geschieht ja nicht einfach so, daß so eine Bierflasche zerbricht. Da muß doch eine treibende Kraft dahinterstecken, vermuten wir mal: Ein Mensch. Menschen haben Bedürfnisse, Affekte, Hoffnungen, Wünsche, Erwartungen, Ziele und Motivationen. Welches Motiv regiert das Zerbrechen einer Bierflasche? Gewinnstreben! Hm, nein, durch das Zerbrechen der Flasche gingen dem Besitzer der Flasche just 8 Cent an Pfand verloren, dem Eigentümer der Flasche gar die Flasche selbst. Das Zerbrechen der Flasche war dem Biertrinker also wichtiger als das Einfordern des hinterlegten Pfandes in Höhe von 8 Cent. Die Gefühlslage des Besitzers der Flasche, also wohl der Brauerei, war ihm gänzlich nebensächlich; wie die Brauerei den Verlust der Flasche verkraftet, interessierte ihn nicht, durch die gezahlte Pfandsumme (Euro 0,08) hielt er die Sache für abgegolten. Das ist übrigens nicht der Fall, denn durch die Pfandhinterlegung hat der Käufer des Bieres die Verpackung eben nicht erworben, sondern nur geliehen – darum ja das Pfand, um die Motivation zur Rückgabe zu unterstützen. Die Flasche bleibt Eigentum der Brauerei, welche beabsichtigt, diese Flasche erneut zu befüllen. Das Zerbrechen der Bierflasche stellt strenggenommen also eine Sachbeschädigung dar.
Doch 8 Cent waren offenbar nicht genug der Motivation, um die Flasche am Stück zu belassen, wiewohl in unseren Städten inzwischen hunderte von Flaschensammlern uterwegs sind, die genau auf diese 8 Cent scharf sind, herumliegende Bierflaschen einsammeln und sich hemmungslos am Flaschenpfand bereichern. Das hatte der flaschenzerstörende Biertrinker aber nicht nötig.
Jedenfalls. Allsams- und -sonntäglich liegen allenthalben zerdepperte Bierflaschen auf den Gehwegen. Durch die Beschädigung wurden sie unbrauchbar und hätten also dem Altglas zugeführt werden können, aber Scherben aufzulesen fällt ja niemandem ein, man könnte sich ja verletzen. Nun gut, jetzt liegen die Scherben auf dem Weg, und es könnten sich andere daran verletzen, aber auch das interessiert ja den Biertrinker nicht. Hätte es ihn interessiert, hätte er ja zumindest mit der Schuhsohle die Scherben etwas zur Seite schieben können, um den Gehweg sicherer zu machen. Aber nee.
Was also waren nun die Beweggründe, die den Biertrinker veranlaßten, die Flasche zerschellen zu lassen? Wut? Schlecht kanalisierte Aggression? Reiner Mutwille?
Ja, ich bin nicht blöd, sondern mir ist bewußt, daß in den meisten Fällen vermutlich gar keine bewußte Entscheidung unmittelbar der Zerstörung der Flasche vorausging, sondern es bloße Unachtsamkeit war. Mal abgesehen von der bewußten Entscheidung, Bier zu sich zu nehmen, mit allen Konsequenzen. Zum Beispiel mit der Konsequenz, daß durch Alkoholkonsum das Bewußtsein getrübt wird, die Reaktionsfähigkeit vermindert und die Koordination der eigenen Bewegungen beeinträchtigt wird. Weiß man ja vorher, nimmt man in Kauf. Ist ja auch nicht schlimm. Sonst wäre es ja nicht erlaubt und erwünscht, Alkohol zu konsumieren. Erwünscht? Aber ja, der Staat verdient ja immerhin mit.
Zufällig weiß ich, daß in unserer Gesellschaft ein Mensch, der nicht trinkt, keinen Alkohol nämlich, fast so schief angesehen wird wie derjenige, der zuviel davon trinkt. Alkoholismus ist natürlich bäh, klar, das sind ja diese Menschen, die ihren Konsum nicht im Griff haben, die sich gehen lassen, die schon so aussehen! Diese fettigen Haare, diese wässrigen Augen, diese rotgeäderte Nase, dieser Geruch, nicht nur nach Alkohol sondern nach so manchem, was dem Körper entströmt, nee, damit will der haushaltsübliche Bietrinker nichts gemein haben. Außer halt manchmal den Rausch, nö? Und wenn dann einer gar keinen Alkohol trinkt, nicht mal so einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt? Oder mal ein Glas Wein bei einem guten Essen? Oder Silvester! Da aber doch mindestens mal so ein Glas Sekt zum Anstoßen? Nein, auch nicht? „Also das könnte ich nicht!“ hört man dann. Also wenn du das nicht könntest, dann bist du doch eigentlich, also nur mal so, eigentlich, bist du dann nicht auch Alkoholiker? Nein, natürlich nicht.
Die Herstellung, die Präsentation, der Konsum von alkoholischen Getränken sind in unserer Gesellschaft Kulturerrungenschaften. Ganze Landstriche leben ausschließlich vom Weinanbau, von Hopfen, Gerste, Obstplantagen, die Herstellung von Wein, Sekt, Bier, Schnäpsen und Likören (und was es sonst noch so geben mag) ist eine Wissenschaft für sich, hochgeachtet, seit Jahrtausenden nach traditionellen Verfahren durchgeführt. Man ist stolz auf diese Kultur. In der Werbung läßt man die Bügelflaschen plöppen, man erkennt Weinbrannt am Geschmack, und „nette Menschen trinken gerne“ so einen komischen Kräuterlikör. Und die Konsumenten brüsten sich darin, Weinjahrgänge beurteilen zu können, Biere am Geschmack unterscheiden zu können, nicht zuletzt auch mit der Fähigkeit, eine Bierflasche auf die aberwitzigste Weise ohne Zuhilfenahme eines offiziellen Flaschenöffners ihres Kronkorkens entledigen zu können. Und selbstverständlich geht es in ungefähr jedem zweiten Schwank aus der eigenen Jugend um was Lustiges, was man im Vollrausch angestellt hat. „Weißte noch, wie ich damals so hackestramm war und dann, haha! mit dem Scirocco, den wir damals hatten, ey, das war so geil! voll gegen den Brückenpfeiler *gibbel*. Die Brigitte ist damals totgelieben, aber die mußte man sich ja eh schöntrinken. Prost!“
Was also ist der Beweggrund, auf dem Gehweg Scherben zu hinterlassen, einem Flaschensammler 8 Cent und der Brauerei eine Flasche vorzuenthalten und sich als asoziales Arschloch zu geheien? Ich weiß es nicht. Und selbstverständlich hätte es nicht „der Biertrinker“ und „der Konsument“ heißen müssen, denn Frauen und sonstwie Diverse wollen natürlich genauso als asoziale Arschlöcher wahrgenommen werden, wenn auch nur von so trübtassigen Nichtalkoholikern wie mir. Für Mitalkoholiker ist das alles ja ganz normales und akzeptables Verhalten.