Den Namen Yoko Ono kenne ich seit meiner Kindheit. Von mir auf andere schließend behaupte ich, den Namen kennt jeder. Und wenn man sonst nichts weiß, dann immerhin, daß sie irgendwie mit John Lennon und so. Das war jedenfalls bis neulich ungefähr ziemlich genau der Stand meines Wissens. Außerdem könnten deutschsprachige Musik-Connoisseure sich an eine kurze Charakter-Beschreibung von Die Ärzte erinnern.
Zu Ostern nutzte ich die Gelegenheit, im WDR-Fernsehen den „Imagine“-Film von John Lennon und Yoko Ono zu sehen. (Bis zum 5ten Juli 2021 ist er noch in der Mediathek des WDR verfügbar.) Neben der erwartbar sehr brauchbaren Musik von John Lennon fand ich auch das durch die Bildsprache wirkende Zeitportrait von 1970 sehr inspirierend. Und eben Yoko Ono. Sie und John Lennon scheinen sich ernsthaft geliebt zu haben.
Es gibt da ja jetzt dieses Internet, und da soll man annähernd jede Information finden, die man sucht. Ist auch so, wie ich feststellte. Zum Beispiel weiß ich nun, daß Yoko sieben Jahre älter war als John, und daß sie jetzt 88 Jahre alt ist und noch lebt. Außerdem halten viele Beatles-Fans sie für den Spaltpilz, der die „schrillen vier aus Liverpool“ auseinandertrieb, was freilich von den Mitgliedern nie bestätigt wurde. George Harrison ist Gaststar im „Imagine“-Film und Ringo Starr gastiert auf Yokos Debut-Album. Kann also nicht so schlimm gewesen sein, aber für viele Hardcore-Beatles-Kuttenträger ist sie ein rotes Tuch. In vielen Youtube-Kommentaren wird, zusammengefaßt, abschätzig darauf hingewiesen, daß Yoko Ono eine talentfreie Schreihälsin sei. Hinzu kommt ihr Engagement als Friedens-Aktivistin und Feministin, womit sie naturgemäß nicht bei jedem offene Türen einrennt. Und zu allem Überflux bleibt ihr künstlerisches Schaffen, welches der Fluxus-Bewegung zuzurechnen ist, den allermeisten Menschen, wohlwollend ausgedrückt, rätselhaft. Die Mehrheitsmeinung scheint also mit Die Ärzte konform zu gehen, daß Yoko Ono zumindest mal nervt.
Ich bin freilich stets um Unvoreingenommenheit bemüht, weshalb ich in einigen Stichproben auf Youtube eigene Höreindrücke sammelte. Diese fielen weit weniger ungünstig aus als das Leumundszeugnis. Sogar ausreichend günstig, um mir direkt mal ein Album zu besorgen. Daß Yoko Ono selbst Platten veröffentlichte, war mir zuvor auch nicht bewußt gewesen. Wenn dein Boyfriend Ex-Beatle und Präsident von Apple Records ist, mag der Weg zur eigenen Langspielplatte wohl auch nicht so weit sein. Jedenfalls. Ich erwarb das Album „Approximately Infinite Universe“ von 1972 und legte es eingedenk der Vorwarnungen mit banger Erwartung auf – – –
Vergeblich wartete ich auf talentfreies Geschrei. Sicherlich hat Yoko Ono nicht die allergüldenste Stimme des Planeten, aber eine Florence Foster Jenkins ist sie bei weitem nicht. Ihre warme Alt-Stimme ist sogar recht wandelbar, wenn man bedenkt, daß sie zu dem Zeitpunkt schon fast 40 war und keine formale Gesangsausbildung genossen hatte. Die Songs sind teils rockig, teils bluesig, teils nehmen sie geradezu den Punk vorweg, bisweilen spielt Yoko mit ihrer japanischen Herkunft, und einige Lieder könnten gar im Soundtrack eines Tarantino-Films auftauchen. Die Texte gehen mit ihrer Berufung als feministische Aktivistin einher, wozu auch der im Innern des Gatefolds abgedruckte Text paßt. Das Doppel-Album beginnt auf Seite 1 mit „Yang Yang“:
Dreht man die Scheibe um, landet man auf Seite 4, wer denkt sich denn den Quatsch aus? „Move On Fast“:
Die zweite Scheibe enthält demzufolge die Seiten 2 und 3. Der Titelsong „Approximately Infinite Universe“:
Und schließlich „Shiranakatta (I didn’t Know)“:
Was soll ich sagen? Ich mag’s.
Aber woher kommen jetzt die Andeutungen, daß Yoko Ono talentfrei herumschreien würde? Jahá! die kommen nicht von ungefähr. Denn das oben besprochene Album „Approximately Infinite Universe“ war ja nicht Yokos erstes Werk. Bis zu diesem kamen viele potenzielle Zuhörer erst gar nicht, denn zuvörderst hatten sie „Plastic Ono Band“ gehört, eine Art Kooperation mit ihrem geliebten John Lennon, der die Klampfe rührt, unter Beteiligung, ich erwähnte es, von Ringo Starr am Schlagzeug. Beatles-Fans hatten also möglicherweise große Erwartungen, genährt durch den Umstand, daß es sich um eine Doppel-Veröffentlichung in zwei Alben handelte, eine Platte von John, eine Platte von Yoko, mit annähernd identischen Titelbildern mit subtiler Unterscheidung.
Falls es nicht zu erkennen ist: Auf Johns Album ruht sein Kopf in Yokos Schoß, auf Yokos Album ihr Kopf in Johns. Die Rückseiten der jeweiligen Alben zieren Kinderfotos. Dieses Konzept finde ich durchaus süß.
John Lennons Album bietet erwartbar sehr brauchbare Musik. Yoko Onos Album hingegen beginnt mit dem ..äh.. Song „Why“. Und exakt diese Frage drängt sich auf. Dringend.
Dankenswerterweise beantwortet der zweite ..äh.. Song die Frage umgehend: „Why not“.
Die B-Seite beginnt mit einem experimentellen Rehearsal-Tape. Mit „AOS“ imitiert Yoko – ich möchte sagen: gekonnt! – das schief in den Angeln hängende Gartentor, das dich bei Ostwind die ganze Nacht nicht schlafen läßt:
Der dem talentfreien Geschrei hinterlegte Groove von John Lennon, Ringo Starr und Klaus Voormann am Baß ist recht entspannt. Mit etwas Wohlwollen, welches aufzubringen ich durchaus gewillt bin, möchte ich dem Werk das Troubadix-Zitat zugestehen: „Nicht ohne künstlerische Qualitäten!“, aber die Quelle des Zitats sagt dann vielleicht doch etwas über die Genießbarkeit des Dargebotenen aus. Das Album umfaßt sechs ..äh.. Songs. Auf der CD-Veröffentlichung gäbe es noch Bonus-Tracks, aber so weit geht meine Liebe nicht. Und ich kann nachvollziehen, weshalb Beatles-Fans keine besonders hohe Meinung von Yoko Ono haben, sofern sie eben nur ins Plastic-Ono-Band-Album reingehört haben, selbst wenn sie Yoko nicht für das Auseinanderbrechen der Beatles verantwortlich machen. Nach diesem ersten Höreindruck werden sich die allermeisten die folgenden Alben Yoko Onos ansatzlos gespart haben. Das schlägt sich auch in der Veröffentlichungshistorie von Yokos Alben nieder. Während jedes einzelne Beatles-Album über Jahrzehnte hundertfach nachgepreßt, neuverlegt, remastert und auf den verschiedensten Tonträgern wiederveröffentlicht wurde, kennt Discogs für Yokos „Plastic Ono Band“ 31 Versionen. Und auch nur so viele, weil es im Erscheinungsjahr 1970 als LP in verschiedenen Ländern veröffentlich wurde, 1997 als CD erschien und 2016 nochmal ein Reissue erfuhr, wiederum in mehreren Ländern.
Ich habe Metallicas Lou-Reed-Album „Lulu“ überlebt, ich kann auch mit Yoko Ono umgehen. Nehme ich „Approximate Infinite Universe“ zum Maßstab, kann ich mir sogar gut eine Erweiterung der Sammlung vorstellen.