Sind E-Scooter ein Meme?

2. März 2023

Ernstgemeinte Frage, irgendwie.

Ich weiß nicht, ob es schon mal wem aufgefallen ist, aber diese E-Scooter, die allenthalben von Teens, Twens und Thirds, sowie von verwegenen Fourts und Feeves durch den rollenden Verkehr bewegt werden, als gäbe es keinen Grund, über die Helmpflicht für Fahrradfahrer nachzudenken, stehen überall im Weg rum. Und „stehen“ ist ein wohlwollender Euphemismus.

Ich habe sie schon von Fußgängerüberwegen, aus Hauseingängen, von Treppenabsätzen, aus Parklücken, mitten von der Straße, aus Garageneinfahrten und wer weiß, wo sonst noch, weggehoben. Nicht, weil ich ein weltverbesserungswilliger Idealist wäre, sondern weil ich einparken, die Treppe benutzen oder einfach irgendwo langgehen wollte. Und, ja, manchmal auch, weil ich in plötzlich aufwallender Empathie für andere Menschen, die möglicherweise irgendwo entlanggehen oder einen Hauseingang betreten wollen könnten, stellvertretend den E-Scooter beiseiteräumte. Gegen den Widerstand des betreffenden E-Scooters, der dann immer einen Heidenrabbatz macht, wenn er vom Fleck bewegt wird, ohne daß er per App (nehme ich an?) freigeschaltet wurde.

Jedenfalls. Gefühlt werden diese Scooter immer an ungünstiger Stelle stehengelassen, was Rückschlüsse auf den Geisteszustand der Letztnutzer(innen) erlaubt, oder eben die Vermutung nahelegt, daß dieses In-den-Weg-Stellen bloße Absicht ist, wenn man eben keine geistige Minderbemitteltheit unterstellen möchte. Und da drängt sich in Zeiten von Social Media und permanenter Handyfotodokumentation des eigenen Tuns Daseins die Vermutung auf, daß es sich beim möglichst störenden Abstellen von E-Scootern um ein Meme handelt.

Genährt wird diese meine Vermutung durch folgende kleine Begebenheit:

Ich fahre so morgens mit dem Dienstwagen meiner Wege, um einen Kunden zu besuchen. An oben gezeigter Stelle komme ich nicht weiter, weil ein E-Scooter im Weg liegt. Nein, zugegebenermaßen hätte ich natürlich ungefährdet vorbeifahren können, aber ich fühlte mich herausgefordert, hielt an, stieg aus, hob den E-Scooter von der Straße und platzierte ihn an der nächsten Hauswand, während das Gerät fortwährend jaulte. Dann stieg ich wieder in meine Karre, fuhr die paar Meter weiter zu meinem Kunden und versorgte diesen. Nach beendeter Versorgung fuhr ich denselben Weg wieder zurück, und, siehe da! Der E-Scooter lag wieder an derselben Stelle, von der ich ihn weggehoben hatte!

Nicht bereit, einer höheren, übersinnlichen, transzendenten Macht die Urheberschaft für diesen Umstand in die Schuhe zu schieben, unterstellte ich menschlichen Mutwillen, stieg aus und schob den Scooter erneut aus dem Weg, dieses Mal an die Hauswand auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Und wer glaubt, der Geschichte würde hier ein weiteres Kapitel hinzugefügt, irrt. Ich weiß nicht, ob die Person, der offensichtlich daran gelegen war, daß dieser E-Scooter an genau dieser Stelle liegt, es abermals unternahm, ihn dorthin zu legen. Is‘ mir auch egal. Der Vorfall hat jedenfalls in mir die Gewißheit verfestigt, daß ein nicht unbedeutender Prozentsatz an E-Scooter-Benutzern entweder strunzdoof ist, oder aber auf Kosten der Verkehrssicherheit eben einem praktischen Meme Vorschub leistet. Wozu auch immer.


Digitalisierung, Digitalisierung, DIGITALISIERUNG!

11. November 2022


Beispielbild

Bisweilen sehe ich mich dem Vorwurf ausgesetzt, ich blickte Neuerungen skeptisch entgegen, was impliziert, daß ich konservativ sei. Das ist nicht der Fall. Ich stehe dem technischen Fortschritt keineswegs feindselig gegenüber, die Heugabel im Anschlag, sondern ich erkenne an, daß es zuweilen in der Geschichte Neuerungen gab, welche die Menschheit echt weitergebracht haben; der Scharpflug zum Beispiel. Richtig hingegen ist, daß ich Veränderungen nicht um der Veränderung willen gutheiße, sondern mit der Veränderung auch eine tatsächliche Verbesserung gegenüber dem Vorzustand ins Werk gesetzt sehen möchte.

Und das bringt uns zur Digitalisierung, Digitalisierung, DIGITALISIERUNG!, in welchselbiger die jeweilige Opposition zur jeweiligen Regierung das Allheilmittel für alles erkennt und der jeweiligen Regierung vorwirft, sie würde den Ausbau dieser Digitalisierung nicht energisch genug vorantreiben. Was heißt nun „Digitalisierung“? Massive Anpflanzungen von Fingerhut, oder was? Der ist aber giftig! Die Regierung will uns alle vergiften! Pegida hatte Recht!

Nach dem Willen der jeweils nicht Herrschenden sollen möglichst viele Abläufe im Alltag der Menschen digital vonstatten gehen. Statt zum Arzt zu rennen, soll man sich den digitalen Krankenschein holen können, die Steuererklärung soll nur noch per Elster abgegeben werden (nicht zu velwechsern mit der Brieftaube!), und ganz Verwegene möchten am liebsten auch das Bargeld abschaffen zugunsten einer rein digitalen Währung. Im Auto ist ja schon alles digital. Wenn man früher (als auch nicht alles besser war, aber manches halt doch) den Motor abgewürgt hat, trat man auf die Kupplung, drehte am Zündschlüssel, und die Karre fuhr weiter. Heute jedoch ist das Auto voller Elektronik. Wenn man abwürgt (was ich natürlich nie tue!), muß erstmal das System rebootet werden, eine unmittelbare Neuzündung des Motors ist im Rahmen der Digitalisierung nicht vorgesehen. Das nur als Beispiel für die unbestrittenen Segnungen der Digitalisierung. Also muß die Datenautobahn her, möglichst noch vor dem Erreichen des 2,5-Grad-Kipp-Punktes (Das 1,5-Grad-Ziel habe ich wegen erwiesener Lächerlichkeit des Zeitplans einfach mal übersprungen.), aber dummerweise verläuft der Ausbau von Autobahnen, ganz gleich, ob real oder digital, schleppend. Während über selbstfahrende Autos diskutiert wird, bröckeln die Talbrücken vor sich hin, und die Schlaglöcher vermehren sich wie die Karnickel, während die Autobahnbaustellen vor allem aus Absperrbaken und Spurverengungen bestehen, ohne daß man jemanden dort arbeiten sehen würde.

Und dann die Faxgeräte! Inbegriff der Rückständigkeit! Sowas von 20stes Jahrhundert! Ja, aber im 20sten Jahrhundert lag im Winter noch Schnee, es war also nicht alles schlecht. Also, das Faxgerät. In den 1980er Jahren schafften sich fortschrittsgläubige Menschen ein solches Gerät an und benutzten es nie, die meisten Leute bekamen so eine Apparatur gleich gar nie zu Gesicht. Denn das wurde vor allem in Behörden und anderen schriftkramproduzierenden Einrichtungen zum fixen bzw. faxen Datenaustausch per Telephonleitung verwendet. Was sag ich: „wurde“! Wird es bis heute. Und die heutigen Fortschrittsgläubigen sehen das als Indiz dafür, daß es dringend einer Digitalisierung, Digitalisierung, DIGITALISIERUNG! bedürfe. Faxe! Sowas rückständiges.

Wieso eigentlich? Man legt ein Schriftstück auf oder ins Gerät, zieht es durch und schickt es an den Empfänger, wo eine Kopie des Schriftstücks automatisch aus dem Drucker kommt. Die Umrechnung des Schriftbilds in leitungskonforme Signale, die empfängerseits wieder in das Schriftbild zurückverwandelt werden, geschieht übrigens auch nicht mit Zahnrädern und Tuschepinseln, sondern durchaus digital; das mal am Rande. Was also wäre die noch digitalere Alternative? ’ne E-Mail. Oder ’ne Wattsapp. Oder ein Tweet. Oder ein Snap. Oder ein Tiktok-Video. Oder was? Okay, jaja, eine E-Mail. Man geht also an den Computer, tippt die Nachricht ein, oder, wenn man ein Dokument schicken will, scannt dieses ein und hängt es an die E-Mail, oder man füllt ein Dokument direkt in der Dokumentenmaske aus, welche hoffentlich voreingestellt ist; man hängt eine digitale Signatur an und sendet es an den Empfänger. Sendet man es dem Empfänger aufs Handy, ist das Dokument eher kleinformatig, und hoffentlich ist der Handy-Empfang gut. Sendet man es als E-Mail auf des Empfängers Computer, ist man darauf angewiesen, daß diese E-Mail geöffnet und gelesen wird, während ein ankommendes Fax sich haptisch aufdrängt. In wieweit die ..äh.. digitalere Variante der Kommunikation einen signifikanten Vorteil bietet gegenüber der vorsintflutlichen Faxtechnik, erschließt sich mir nicht unmittelbar, aber ich bin für Plausibilisierungsversuche offen. Ein Vorteil wäre sicherlich der geringere Papierverbrauch.

Jedenfalls. Heute saß ich auf dem Einfüllstutzen zur Kanalisation, als es an der Tür schellte. Ich kam so schnell nicht hin, konnte also bloß noch die Abholkarte des DHL-Büttels aus dem Briefkasten bergen. Und zwar sollte ich das Paket nicht wie gewohnt bei der Hauptpost abholen, sondern bei der nächstgelegenen Packstation. Das freute mich ob des kürzeren Weges, und die Erfahrung sagte mir, daß das Prozedere unkompliziert sei: Barcode auf der Abholkarte an der Packstation untern Scanner halten, es öffnet sich das entsprechende Fach, fertig. So dachte ich. Denn inzwischen hat die Post, also DHL, also die Post, also egal, eine neue Generation von Packstationen in Betrieb genommen. Stichwort: Digitalisierung!

Manchmal sind es ja Kleinigkeiten, die mir das Leben beschwerlich machen. So standen beispielsweise bei meiner vorherigen Wohnung die Mülltonnen direkt neben der Haustür, und bei jedem Weg nahm ich rasch den Müll mit. Bei der jetzigen Wohnung hingegen sind die Mülltonnen hinterm Haus angeordnet, was jetzt nicht mehr automatisch auf dem Weg liegt. Na gut, den kleinen Umweg würde ich wohl in Kauf nehmen, aber um die Mülltonnen gibt es einen Zaun mit abgeschlossenem Tor, damit sie nicht ausbüxen, und der Schlüssel paßt nicht mehr an meinen alltäglichen Schlüsselbund, vor allem nicht auf dem Weg zur Arbeit. Denn neben meinem eigenen Haustürschlüssel, Wohnungsschlüssel und Briefkastenschlüssel hängen daran noch Haustürschlüssel und Stationsschlüssel der Arbeitsstelle, ein zusätzlicher Büroschlüssel, mein Spindschlüssel und ein weiterer Schrankschlüssel. Das alles zerfetzt bereits jetzt schon meine Hosentasche, und der Müllplatzschlüssel sprengt den Rahmen. Also bringe ich den Müll nur alle paar Wochen mal raus, und heute war’s soweit; die Mülltonnen liegen günstig auf dem Weg zur Packstation.

Komme ich also frohgemut mit meiner Abholkarte zur Packstation und will den Barcode einscannen: Gibt es da gar keinen Scanner! Stattdessen brüstet sich die Packstation damit, appgesteuert zu sein. Ja wie jetzt, App? Braucht man da ein Handy, etwa?
Nun bin ich ja, Corona und dem digitalen Impfausweis sei Dank, durchaus Besitzer, Eigentümer und Verweser eines ortsungebundenen Fernsprechapparats, aber dabeí habe ich das natürlich nicht immer! Also zurück nach Hause, Handy holen, in der sich erfüllenden Hoffnung, daß es geladen sei.
QR-Code auf der Station einscannen, Link zur DHL-Packstation-Seite öffnen, den Anweisungen folgen, die da lauten: DHL-App herunterladen, ein Kundenkonto einrichten, meine Adressdaten preisgeben, per E-Mail bestätigen, Zahlungsmöglichkeit eintragen, denn mit der DHL-App will DHL selbstverständlich zum leichthinnigen Erwerb irgendwelcher DHL-Leistungen verführen, ich wähle die einzige mir zur Verfügung stehende Möglichkeit: Paypal, also PayPal-Adresse eingeben, zu PayPal wechseln, dort einloggen, Zwei-Faktor-Autorisierung durchlaufen, fertig, die App ist betriebsbereit! Und nu? Per Bluetooth mit der Packstation verbinden, es leuchtet ein grünes Lämpchen auf, es blinkt, die Verbindung klappt nicht. Also nochmal. Klappt wieder nicht, die Packstation beendet den Vorgang. Ich trete einmal gegen die Packstation, es entsteht kein Schaden, ich versuche es noch einmal mit der Bluetoothverbindung, es klappt! Ich werde aufgefordert, mit dem Handy den Barcode auf der Abholkarte zu scannen, zu dunkel, kann nicht entziffert werden, ich gehe ins Licht, neuer Versuch, Erfolg! Es öffnet sich ein Fach. Ich entnehme mein Päckchen, analog. Es ist übrigens eine Schallplatte drin, auch analog. Aber diese Digitalisierung, Junge, Junge, die ist schon toll.

Apropos „Junge, Junge“. Die alten Alten, also zum Beispiel meine Mutter, hätten das Päckchen zurück zum Absender gehen lassen. Müssen. Abgesehen davon, daß meine Mama kein Smartphone hat, wäre sie auch nicht damit klargekommen, den QR-Code einzuscannen, ein Kundenkonto zu eröffnen, zwischen DHL-App, E-Mail-App und PayPal-App auf dem Handy hin- und herzuwechseln, oder überhaupt eine Zahlungsmöglichkeit zur Appnutzung einzutragen, denn meine Mutter gibt noch handgeschriebene Überweisungsscheine am Bankschalter ab. Digitalisierung? Richtet sich jetzt nicht primär an den Großteil der Bevölkerung, wiewohl es auch da Appnutzungserscheinungen gibt. Der Weisheit letzter Schluß ist das irgendwie auch nicht.


We are doomed.

29. August 2022

Wie ich von diesem Aufkleber an einem Laternenpfahl im öffentlichen Raum lernte, sind wir am Arsch. So sehe ich also meine schon lange gehegte Vermutung offiziell bestätigt. ’s wird wärmer, zum Beispiel, und nur Naivlinge nehmen dies zum Anlaß, sich auf besseres Wetter zu freuen. Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt: Is‘ nich‘ so. Entweder wird es heißer und trockener, die Bäume sterben ab, die Flüsse trocknen aus und das Grundwasser zieht sich zurück; oder es wird heißer und nasser, die Flüsse schwellen an und die Stürme werden heftiger. Na, herzlichen Glückwunsch, das haben wir ja prima hingekriegt!
Und weil wir, das heißt: die Mehrheit der Menschheit, Politiker wählen oder gewähren lassen, die all ihre Kraft in den Dienst derer stellen, die in ihre Beraterverträge erkleckliche Sümmchen schreiben, während sie, Geldgeber, ihrerseits noch erklecklichere Summen durch entsprechend ausgearbeitete Gesetze verdienen bekommen, wird sich auch nichts zum Besseren ändern. Es ist aber auch echt egoistisch von uns, selbstsüchtig immer nur das Wohl unserer Kinder und Kindeskinder im Sinn zu haben und auf einen auch zukünftig noch bewohnenswerten Planeten zu hoffen, ohne uns mal empathisch in die Bedürfnisse der Aufsichtsräte und Oligarchen einzufühlen!

Extinction Rebellion hat also Recht: Wir sind am Arsch. Welche Erkenntnis sollen wir daraus ziehen? Folgen wir dem Vorschlag Guybrush Threepwoods, völlig zu verzweifeln und aufzugeben? Klingt verlockend. Vielleicht saufen wir uns die Welt auch einfach schön. Die aufmüpfige Jugend, die tatsächlich noch hirngespinstens von einer lebenswerten Zukunft träumt und den weisen Erwachsenen auf die Nerven geht, indem sie sich an Autobahnen und Bilderrahmen festklebt (Ja ist denen denn gar nichts heilig!?), bringen wir frühzeitig dazu, es uns gleichzutun. Zu diesem Zweck gibt es sowas:

Saufen für den Wohlstand (einiger).

Und dann erblickte mein Auge just heute diese kleine Werbeanzeige im Dortmunder Werbeblättchen. Die Adresse habe ich mal unkenntlich gemacht, denn Werbung gibt’s hier nur, wenn WordPress sie einblendet, weil ich keinen bezahlten Account anlegen möchte. Typisch, diese Gratismentalität! Aber dann wiederum bezahlt mich ja auch keiner, also ist die Billanz ausgeglichen, die 0 steht. Also, jedenfalls:

Wie bitte? Vielleicht wußtet ihr das ja; ich wußte es jedenfalls nicht: Es gibt Grillkurse? Schon (schon!!!) ab 69 Euro. Die Schonzeit ist vorbei! Es gibt also offenbar auch Kurse zu höherem Preis. Und 69 Euro sind fast 140 D-Mark. Das sind 700 Ost-Mark. Und da gab’s Fleisch nur an geraden Donnerstagen, wenn man weit genug vorne in der Schlange stand. Doch ich schweife ab.

Wie konnte es eigentlich dazu kommen, daß in Zeiten des Feminismus das Grillen zum Volkssport avancierte? Nee, jetzt mal ernsthaft: Wie zum dreimal gehörnten Teufel konnte das passieren? Seit Jahren nehme ich wahr, wie die Zubereitung von Fleisch vermittelst eines Grills erst zur telemedial vermittelten Wissenschaft wurde, dann zur Materialschlacht, und jetzt identifizieren sich Männer plötzlich als Grillexperten und Diplombruzzler, schaffen alle Naselang neues Grillgerät gemäß neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen an („Smoker“. Keine Ahnung, was das ist.), und es gibt Grillkurse. Oh, sorry, sorry:

Frauen natürlich auch. Dazu später mehr. Fleisch (was jetzt keine Assoziation zu Frauen sein soll) esse ich ja bisweilen auch, nicht häufig und nie selbstgegrillt, aber das Virtus-Signal, um mal einen englischen Begriff lateinischer Herkunft einzudeutschen, „Veganer!“ kann ich für mich nicht reklamieren. Dennoch sehe ich ein, daß unser wohl(unan)ständiger Fleischkonsum problematisch ist. Die Haltung von Schlachtvieh ist oft mit dem Tierwohl nicht zu vereinbaren, das Schlachten sowieso nicht, Futtermittel verbrauchen Ressourcen an Wasser, Anbaufläche, Düngemitteln und so weiter, die, äße man pflanzlich, sehr viel direkter und wirtschaftlicher genutzt wären. Daß für Weideflächen gerne mal Regenwald brandgerodet wird, und daß die Viecher Methan auspupsen, kommt als klimaschädlicher Malus noch hinzu.

All dies ist bekannt, es kümmert aber niemanden. Stattdessen wird gegrillt, was das Zeug hält. Fast, beinahe, unter Umständen, vielleicht könnte man auf den eventuell komplett abwegigen Gedanken kommen, daß hinter dem derzeitigen Trend zum Grill eine geschickt lancierte Kampagne der Fleischindustrie steckt, ohne jetzt allzu offensichtlich in verwegene Verschwörungsmythen abgleiten zu wollen. War wirklich nur ein Gedanke, die Älteren werden sich erinnern.

Männer grillen. Grillen zirpen. Was hat das mit dem Feminismus zu tun? Natürlich nichts. Frauen grillen ja auch, zum Beispiel auf der Sonnenbank. Und ich verbreite hier antiquierte Geschlechterklischees, ich Schlimmling. Oder heißt es jetzt: „Geschlimmte“? Ich sollte solche Texte nicht um 3 Uhr nachts verfassen.

Feministinnen und ihre andersgeschlechtlichen Apologeten behaupten ja gerne, dem Feminismus gehe es um Gleichberechtigung. Das gibt das Wort freilich nicht her, welches ja ausdrücklich Wesen femininen Geschlechts benennt. Dem Feminismus geht es um mehr Rechte für Frauen, was insofern gerechtfertigt ist, als Frauen Rechte vorenthalten werden. Daß diese Mehrberechtigung der Frauen an dem Punkt enden möge, wo der Zustand einer Gleichberechtigung erreicht wurde, ist hingegen nicht erkennbar. Und daß diese Gleichberechtigung überhaupt anderen Gruppen außer Frauen zugutekommen soll, ebensowenig. Wenn Transfrauen beispielsweise das Damenklo aufsuchen möchten, erheben Feministinnen nicht selten ihre Stimme dagegen. Und sowieso gilt: Der Feind ist der Mann, von toxischer Männlichkeit ist die Rede. Und ja, allenthalben können wir toxische Männlichkeit am Werke sehen, seien es prügelnde Ehemänner oder dem Militarismus Vorschub leistende Staatsführer mit nacktem Oberkörper in Armeehose auf dem Pferd. Unbestritten. Dabei geht es natürlich nicht darum, daß die Welt ein besserer Ort würde, wenn Frauen an öffentlichem Einfluß und Macht gewönnen, denn warum sollte das wohl so sein? Das britische Kolonialreich beispielsweise nahm seinen Anfang unter Königin Elisabeth I. und hatte seine größte Ausdehnung unter Queen Victoria. Maggie Thatcher, die „Eiserne Lady“, führte den Falkland-Krieg und vertrat eine rigide Sozialpolitik. Angela Merkel war 16 Jahre lang Bundeskanzlerin, ohne daß der Feminismus in dieser Zeit über wesentliche Erfüllungen seiner zentralen Forderungen gejubelt hätte. Zu den reichsten Deutschen zählen Frau Klatten, Frau Quandt und Friede Springer („Bild“, dieser Hort der Gleichberechtigung).
Ich hätte durchaus nichts dagegen, wenn Frauen annähernd soviel, genauso viel, oder auch mehr Macht und Einfluß hätten, wie sie derzeit noch Männer haben. Bloß gehe ich nicht davon aus, daß dadurch irgendwas besser würde. Frauen wollen ganz einfach jetzt auch die Arschlöcher sein, nur darum geht’s.

Aber die Männer (Yes, I know: Not all men.) sehen sich Vorwürfen ausgesetzt. Sexismus, wie obiger Aufkleber an einem Stromkasten vermittelst suggestiver Farbgebung und unverhohlen dargestellter Geschlechtskennzeichnung impliziert, ist etwas, unter dem Frauen zu leiden haben, was also von Männern ausgeht. Weil Männer per Definitionem nie von Sexismus betroffen sind, außer vielleicht, wenn ihnen auf Stromkastenaufklebern zum Thema Sexismus der potenzielle Opferstatus verweigert wird, aber wer wird denn kleinlich sein.

Der Feminismus mag in vielem seine Berechtigung haben, aber er fördert auch den unreflektierten Trotz derer, die sich von ihm bedroht fühlen. Viele Männer sehen, ob berechtigterweise oder nicht, ihre Felle davonschwimmen, und vielleicht auch deswegen ziehen sie sich an den Grill zurück, wo Männer noch Männer sein können. Eskapismus sei’s Panier! Wir sind verloren.

Gute Nacht!


2022 – Die’s nicht überlebt haben.

1. Januar 2022

„Soylent Boom“

Spiegel Online versorgt mich mit einer ausgewogenen Mischung aus wissenswerten politischen Neuigkeiten und Boulevard-Quatsch. Aktuell läßt sich hier die Silvesterbilanz nachlesen. An Tagen wie diesen erwacht in mir der menschenfeindliche Zyniker (und gewinnt die Oberhand über den menschenfreundlichen Zyniker, der ich überlicherweise bin). Also:

Um Unfälle durch den unsachgemäßen Gebrauch von Knallkörpern und Raketen zu vermeiden und damit die durch Corona bereits extrem belasteten Krankenhäuser zu entlasten, galt auch zu diesem Jahreswechsel ein Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk.

Das klingt für mich nach einer vernünftigen Maßnahme. Was fordern vernünftige Maßnahmen üblicherweise heraus? Des Menschen Unvernunft nämlich, sich Bahn brechend in trotzigen Handlungen ohne Sinn und Verstand.

Trotzdem waren im ganzen Land Böller zu hören und Raketen zu sehen, nicht wenige davon stammten vermutlich aus illegalen Quellen. Wie jedes Jahr gab es bei der Knallerei schwere Unfälle.

Wie jedes Jahr. Man hätte also gewarnt sein können. Aber die Erfahrungen anderer sind wertlos, Warnungen werden in den Wind geschlagen. Der eine weiß es besser, der andere möchte seine Erfahrungen selbst machen.

(Bloß einer Bundesregierung, die aufgrund einer neuartigen Situation keinerlei Erfahrung im Umgang mit – willkürliches Beispiel – einer Corona-Pandemie hat und haben kann, wirft man natürlich vor, wenn sie „falsche“ Entscheidungen trifft.)

Jedenfalls. Bitte sehr, macht eure Erfahrungen:

Bei der Explosion eines Feuerwerkskörpers in Hennef bei Bonn ist ein Mann ums Leben gekommen, ein weiterer wurde schwer verletzt. Die beiden 37 und 39 Jahre alten Männer hatten mit einer zehnköpfigen Gruppe Silvester gefeiert.

Die übrigen acht Feiernden konnten dann die erlaubte Anzahl der Gruppe mit Freunden auffüllen, die zuvor aufgrund der Corona-Maßnahmen nicht eingeladen werden konnten. Hat also alles sein Gutes!

Ein Polizeisprecher vermutete am frühen Samstagmorgen, dass es sich bei dem Feuerwerkskörper um einen selbst gebauten Böller gehandelt haben könnte.

Da man ja aus Fehlern lernt, wird der 39-Jährige (der 37-Jährige ist ja tot) zum nächsten Jahreswechsel die Rezeptur entsprechend verändern und einen neuen Versuch starten.

Weiter:

Auf einer privaten Silvesterparty im Osten von Berlin sind zwölf Menschen bei der Explosion von illegalem Feuerwerk verletzt worden. Alle Verletzten mussten zur Behandlung in Kliniken gebracht werden, teilte die Feuerwehr am Neujahrsmorgen mit. Es habe aber glücklicherweise keine sehr schweren Verletzungen gegeben.

Wenn du einen Idioten mit „Idiot!“ titulierst, wird er dich anzeigen, weil er es als Beleidigung mißversteht, und das ist ja illegal. Wenn der Idiot hingegen illegales Feuerwerk zündet… Ach, egal.

Der jüngste Verletzte ist laut Feuerwehr ein elfjähriger Junge, die anderen Verletzten seien Jugendliche und Erwachsene.

Normalerweise kommen den Menschen ja Tränen der Rührung, wenn Kinder involviert sind. Alles würden sie zum Schutze ihrer Kinder tun. Alles! Außer natürlich, den Kindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen, da sollen sich die Blagen mal nicht so anstellen und Freitags lieber in die Schule gehen. Und Feuerwerk geht sowieso vor!

Weiter:

Mindestens zwei Menschen wurden in Hamburg beim Abbrennen von Feuerwerk schwer verletzt. In Bramfeld explodierte nach Angaben der Polizei ein Böller in einer selbst gebastelten Abschussvorrichtung und verletzte einen 50-jährigen Mann schwer im Gesicht. Er schwebe in Lebensgefahr.

Das darf man alles nicht so negativ sehen. Denn wer träumte nicht davon, einmal zu schweben? Zugegeben, die Sache mit der Lebensgefahr ist etwas heikel. Aber schweben! Hach!

Weiter:

In einem anderen Fall müsse einem Mann nach missglückter Böllerei möglicherweise eine Hand amputiert werden.

Der dachte auch, er habe alles im Griff. (Pun intended.)

Weiter:

In Leipzig wurde ein Mann beim Zünden eines vermutlich ebenfalls selbst gebauten Böllers lebensbedrohlich verletzt, wie ein Polizeisprecher sagte.

Es wäre jetzt allzu billig, von „Leipzig“ über „Sachsen“ auf „Pegida“, „AfD“ und die in Sachsen virulente Impfnachlässigkeit zu schließen. Mein krankes Hirn knüpft da zwar Verbindungen, aber geböllert wird ja bundes- und weltweit, auch in Jahren, in denen mal kein Corona-bedingtes Verkaufsverbot für Feuerwerkskörper gilt. Also weise ich die Jury an, diese Aussage des Zeugen bei der Urteilsfindung nicht zu berücksichtigen.

Weiter:

In Wernigerode im Harz hat eine Rakete einen Wohnungsbrand mit viel Schaden verursacht. Nach Zeugenaussagen flog der Feuerwerkskörper am Freitag auf einen Balkon im fünften Stock des Hauses, teilte die Polizei am Samstag mit. Zunächst soll es zu einer Rauchentwicklung gekommen sein. Anschließend griff das Feuer auf die Wohnung eines 22-jährigen Mannes über und zerstörte diese teilweise.

Das muß also nicht mal eine illegale Rakete gewesen sein. Allgemein wird ja das farbenprächtige Höhenfeuerwerk wohlwollender bewertet als das stumpfe Geböllere. Ob der 22-Jährige, der die Nacht nach der Zerstörung seiner Wohnung durch die Rakete der Nachbarn im Freien verbringen mußte, das auch so sieht, ist nicht überliefert. Zum Glück war’s ja frühlingshaft warm, also nicht so schlimm. Kimawandel ist super!

Weiter:

In Stuttgart kam es gegen Mitternacht beim zentralen Schlossplatz zu Auseinandersetzungen zwischen Feierwütigen und der Polizei. Einige aggressive Partygänger hätten die Beamten bedrängt und mit Böllern beworfen. Die Polizei ging nach eigenen Angaben mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen die Menge vor. Ein Polizist habe ein Knalltrauma erlitten, zwei weitere seien leicht verletzt worden.

„Pyrotechnik ist kein Verbrechen!“
Und was hatte ich eigentlich gerade an Sachsen auszusetzen? Die Querdenkerszene hat ihren Ursprung ja in Stuttgart.

Weiter:

Ein 23 Jahre alter Mann ist in der Silvesternacht bei der Explosion eines Feuerwerkskörpers in Österreich tödlich verletzt worden. Ein 21-Jähriger wurde zudem schwer verletzt […] Dabei hätten sie sogenannte Kugelbomben gezündet. Als eine der Bomben nicht sofort zündete, näherten sich den Angaben nach vier aus der Gruppe dem Feuerwerkskörper, der dann explodierte.

Österreicher? *schulterzuck*

Und schließlich hier:

Trotz Böllerverbots hat ein Mann bei Enschede auf der Straße mit einem Metallgerät Feuerwerkspulver explodieren lassen. Dabei kam ein Kind ums Leben, ein weiteres wurde schwer verletzt.

Enschede? Da war doch mal was. Aber die Letzten, die dabeiwaren, sind eh lange tot, zwanzig Jahre nämlich schon. Es wurde also höchste Zeit für eine Erinnerungsauffrischung.

In den Niederlanden gilt eigentlich ein landesweites Böllerverbot an Silvester. Die Regierung hatte das Verbot das zweite Jahr in Folge verhängt, um die Krankenhäuser in der Coronapandemie nicht zusätzlich zu belasten.

Es ist also gut, daß wenigstens eins der Kinder starb, so fällt es dem Gesundheitssystem nicht mehr zur Last. Bei dem anderen Kind darf man noch die Daumen drücken.

So. „Zynismus: Ende!“?

Ich selbst habe mein Lebtag noch keinen Betrag irgendeiner Währung für Feuerwerkskörper ausgegeben. Mit geschenkten Böllern habe ich als Kind freilich auch schon meine Erfahrungen gemacht. Ein harmloses Zisselmännchen entwickelte im kleinen, hochgekachelten Klo auf der halben Treppe eine erstaunliche Knallwirkung, und mit einem Ladykracher lockerte ich die Teile eines Lego-Modells 6066 (eins meiner grauen Burgwandformteile weist nach wie vor Schmauchspuren auf) und brannte ein schwarzes Loch in die Teppichfliese in meinem Kinderzimmer.

Ins Fußballstadion gehe ich nicht des Feuerwerks wegen; Pyrotechnik ist vielleicht kein Verbrechen (außer vielleicht, wenn es verboten war und dann trotzdem Menschen dadurch zu Schaden kommen), aber ganz gewiß ist Pyrotechnik kein Menschenrecht.

Eine Jahreswendefeier ohne Feuerwerk ist natürlich ungewohnt und wenig spektakulär, aber ich bin zuversichtlich, daß auch ohne Böllerei keine bösen Geister die Herrschaft übernehmen. Zumal jene bösen Geister, die ohnehin an der Macht sind, sich noch nie durchs Feuerwerk haben verscheuchen lassen. Mithin ist so ein Silvesterfeuerwerk nicht essenziell, und ein Verkaufsverbot von Feuerwerkskörpern kein Anlaß, sich in seinen Grundrechten beschränkt zu sehen. Was den Menschen den Spaß am Feiern verdirbt, dürfte weniger das ausgefallene Feuerwerk sein, als vielmehr die durch Feuerwerk verursachten Unfälle mit zum Teil fatalen Folgen. In der Kosten-Nutzen-Risiko-Abwägung kommt Feuerwerk angunfürsisch nicht gut weg.

Letztes Jahr um diese Zeit hatte ich Spätdienst, wie auch schon einige Male zuvor. Spätdienst an Silvester und Neujahr ist klasse, weil man vor Mitternacht fertig ist, dann gegebenenfalls noch mit Freunden feiern kann, und am nächsten Tag muß man nicht früh aufstehen. Und letztes Jahr, da auch schon ein Verkaufsverbot für Pyrogedöns galt, wurde es mir nasenfällig: Es stank nicht nach Pulverdampf, als ich durch die Straßen ging, anders als in den Jahren davor. Stattdessen schnupperte es allüberall aus den Häusern nach Raclette und Fondue. Und dieses Jahr, da ich Frühdienst hatte, konnte ich nachts einigermaßen ungestört durchschlafen, fand morgens keine schweflig-neblige Atemluft vor, und auch die Straßen sind nahezu frei von den Böllerresten, welche wegzuräumen den Böllernden ja noch nie eingefallen ist. Also ich finde das „Böllerverbot“ prima!

Wenn schon Partikularinteressen, dann nicht die der enttäuschten Feierwilligen, sondern bitteschön meine!


Glasbruch.

22. November 2021

Das Konzept „zerbrochene Bierflasche“ verstehe ich nicht. Es leuchtet mir nicht ein. Wo ist der Sinn, wo der Zweck, welches sind die Beweggründe, was versprechen sich die Menschen davon? Und, die Frage, die man grundsätzlich bei jedem Vorgang in der Gesellschaft stellen sollte: Wem nützt es und wem schadet es?

Ich mein‘, das geschieht ja nicht einfach so, daß so eine Bierflasche zerbricht. Da muß doch eine treibende Kraft dahinterstecken, vermuten wir mal: Ein Mensch. Menschen haben Bedürfnisse, Affekte, Hoffnungen, Wünsche, Erwartungen, Ziele und Motivationen. Welches Motiv regiert das Zerbrechen einer Bierflasche? Gewinnstreben! Hm, nein, durch das Zerbrechen der Flasche gingen dem Besitzer der Flasche just 8 Cent an Pfand verloren, dem Eigentümer der Flasche gar die Flasche selbst. Das Zerbrechen der Flasche war dem Biertrinker also wichtiger als das Einfordern des hinterlegten Pfandes in Höhe von 8 Cent. Die Gefühlslage des Besitzers der Flasche, also wohl der Brauerei, war ihm gänzlich nebensächlich; wie die Brauerei den Verlust der Flasche verkraftet, interessierte ihn nicht, durch die gezahlte Pfandsumme (Euro 0,08) hielt er die Sache für abgegolten. Das ist übrigens nicht der Fall, denn durch die Pfandhinterlegung hat der Käufer des Bieres die Verpackung eben nicht erworben, sondern nur geliehen – darum ja das Pfand, um die Motivation zur Rückgabe zu unterstützen. Die Flasche bleibt Eigentum der Brauerei, welche beabsichtigt, diese Flasche erneut zu befüllen. Das Zerbrechen der Bierflasche stellt strenggenommen also eine Sachbeschädigung dar.

Doch 8 Cent waren offenbar nicht genug der Motivation, um die Flasche am Stück zu belassen, wiewohl in unseren Städten inzwischen hunderte von Flaschensammlern uterwegs sind, die genau auf diese 8 Cent scharf sind, herumliegende Bierflaschen einsammeln und sich hemmungslos am Flaschenpfand bereichern. Das hatte der flaschenzerstörende Biertrinker aber nicht nötig.

Jedenfalls. Allsams- und -sonntäglich liegen allenthalben zerdepperte Bierflaschen auf den Gehwegen. Durch die Beschädigung wurden sie unbrauchbar und hätten also dem Altglas zugeführt werden können, aber Scherben aufzulesen fällt ja niemandem ein, man könnte sich ja verletzen. Nun gut, jetzt liegen die Scherben auf dem Weg, und es könnten sich andere daran verletzen, aber auch das interessiert ja den Biertrinker nicht. Hätte es ihn interessiert, hätte er ja zumindest mit der Schuhsohle die Scherben etwas zur Seite schieben können, um den Gehweg sicherer zu machen. Aber nee.

Was also waren nun die Beweggründe, die den Biertrinker veranlaßten, die Flasche zerschellen zu lassen? Wut? Schlecht kanalisierte Aggression? Reiner Mutwille?

Ja, ich bin nicht blöd, sondern mir ist bewußt, daß in den meisten Fällen vermutlich gar keine bewußte Entscheidung unmittelbar der Zerstörung der Flasche vorausging, sondern es bloße Unachtsamkeit war. Mal abgesehen von der bewußten Entscheidung, Bier zu sich zu nehmen, mit allen Konsequenzen. Zum Beispiel mit der Konsequenz, daß durch Alkoholkonsum das Bewußtsein getrübt wird, die Reaktionsfähigkeit vermindert und die Koordination der eigenen Bewegungen beeinträchtigt wird. Weiß man ja vorher, nimmt man in Kauf. Ist ja auch nicht schlimm. Sonst wäre es ja nicht erlaubt und erwünscht, Alkohol zu konsumieren. Erwünscht? Aber ja, der Staat verdient ja immerhin mit.

Zufällig weiß ich, daß in unserer Gesellschaft ein Mensch, der nicht trinkt, keinen Alkohol nämlich, fast so schief angesehen wird wie derjenige, der zuviel davon trinkt. Alkoholismus ist natürlich bäh, klar, das sind ja diese Menschen, die ihren Konsum nicht im Griff haben, die sich gehen lassen, die schon so aussehen! Diese fettigen Haare, diese wässrigen Augen, diese rotgeäderte Nase, dieser Geruch, nicht nur nach Alkohol sondern nach so manchem, was dem Körper entströmt, nee, damit will der haushaltsübliche Bietrinker nichts gemein haben. Außer halt manchmal den Rausch, nö? Und wenn dann einer gar keinen Alkohol trinkt, nicht mal so einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt? Oder mal ein Glas Wein bei einem guten Essen? Oder Silvester! Da aber doch mindestens mal so ein Glas Sekt zum Anstoßen? Nein, auch nicht? „Also das könnte ich nicht!“ hört man dann. Also wenn du das nicht könntest, dann bist du doch eigentlich, also nur mal so, eigentlich, bist du dann nicht auch Alkoholiker? Nein, natürlich nicht.

Die Herstellung, die Präsentation, der Konsum von alkoholischen Getränken sind in unserer Gesellschaft Kulturerrungenschaften. Ganze Landstriche leben ausschließlich vom Weinanbau, von Hopfen, Gerste, Obstplantagen, die Herstellung von Wein, Sekt, Bier, Schnäpsen und Likören (und was es sonst noch so geben mag) ist eine Wissenschaft für sich, hochgeachtet, seit Jahrtausenden nach traditionellen Verfahren durchgeführt. Man ist stolz auf diese Kultur. In der Werbung läßt man die Bügelflaschen plöppen, man erkennt Weinbrannt am Geschmack, und „nette Menschen trinken gerne“ so einen komischen Kräuterlikör. Und die Konsumenten brüsten sich darin, Weinjahrgänge beurteilen zu können, Biere am Geschmack unterscheiden zu können, nicht zuletzt auch mit der Fähigkeit, eine Bierflasche auf die aberwitzigste Weise ohne Zuhilfenahme eines offiziellen Flaschenöffners ihres Kronkorkens entledigen zu können. Und selbstverständlich geht es in ungefähr jedem zweiten Schwank aus der eigenen Jugend um was Lustiges, was man im Vollrausch angestellt hat. „Weißte noch, wie ich damals so hackestramm war und dann, haha! mit dem Scirocco, den wir damals hatten, ey, das war so geil! voll gegen den Brückenpfeiler *gibbel*. Die Brigitte ist damals totgelieben, aber die mußte man sich ja eh schöntrinken. Prost!“

Was also ist der Beweggrund, auf dem Gehweg Scherben zu hinterlassen, einem Flaschensammler 8 Cent und der Brauerei eine Flasche vorzuenthalten und sich als asoziales Arschloch zu geheien? Ich weiß es nicht. Und selbstverständlich hätte es nicht „der Biertrinker“ und „der Konsument“ heißen müssen, denn Frauen und sonstwie Diverse wollen natürlich genauso als asoziale Arschlöcher wahrgenommen werden, wenn auch nur von so trübtassigen Nichtalkoholikern wie mir. Für Mitalkoholiker ist das alles ja ganz normales und akzeptables Verhalten.


CD-Regal revisited: Pink Floyd (9)

29. Oktober 2021

Konnten Pink Floyd nach dem Band-Austritt von Roger Waters also als aufgelöst betrachtet werden? Ja. (Waters zufolge.) Nein. (Gilmour zufolge.) Um dieses sein Ansinnen zu unterstreichen, veröffentlichte dieser 1987 das Album „A Momentary Lapse Of Reason“, zu Deutsch etwa „Ein vorübergehendes Aussetzen des Verstandes“. Ja, das kann man so sagen.

A Momentary Lapse Of Reason

Bis dahin waren Pink Floyd eine Band gewesen, die sich durch eine sehr dauerhafte Besetzung ausgezeichnet hatte. Nach dem ersten Album war zwar Syd Barrett mehr oder weniger, und nach dem zweiten Album vollständig durch David Gilmour ersetzt worden, und Rick Wright war mit „The Wall“ ausgeschieden; aber im Kern war Pink Floyd bekannt und erfolgreich in der Besetzung Waters/Mason/Wright/Gilmour, nur vereinzelt unterstützt durch Dick Parry am Saxophon, mit Gastauftritten von Clare Torry und Roy Harper, nicht zu vergessen auch Ron Geesin nebst Chor und Orchester auf „Atom Heart Mother“. Auf dem vorliegenden Album jedoch…
„Pink Floyd“ steht drüber, Nick Mason und David Gilmour sind abgebildet, aber die Besetzungsliste führt 19 (neunzehn) Musiker auf, darunter neben Nick Mason vier weitere Schlagzeuger und/oder Perkussionisten. Die Liste läßt sich überdies erweitern durch vier zusätzliche Song-Schreiber (die nicht Mitglieder der Band Pink Floyd sind) neben dem Produzenten Bob Ezrin, die bei den einzelnen Tracks angegeben sind. Das liest sich nicht wie ein Album, das von einer Band mit einem kohärenten Plan als Gruppe geschaffen wurde, sondern wie ein Solo-Album mit Gast-Musikern, nämlich David Gilmours Solo-Album, aber unter dem zugkräftigen Namen „Pink Floyd“. In your face, Roger Waters! Rick Wright ist als Gast-Musiker übrigens auch vertreten; aus vertraglichen Gründen durfte er nicht als Band-Mitglied aufgeführt werden, was aber auch keinen Unterschied gemacht hätte.

Die Titelgestaltung oblag traditionsgemäß Storm Thorgerson, ebenfalls als Solo-Künstler, da seine Agentur „Hipgnosis“ seit 1985 nicht mehr existierte. Das aufwendige Betten-Bild hat als Cover durchaus Kraft, jedoch wird es beschnitten durch zeittypische spät-80er Graphik-Elemente, die benutzt werden mußten, weil ja jetzt Computer verfügbar waren. Insofern paßt es perfekt zum Sound des Albums, der ebenfalls sehr 80er-typisch ist, mit Synthesizern und Hall.

David Gilmour war erkennbar darum bemüht, den typischen Pink-Floyd-Sound, der auf „The Final Cut“ so schmerzlich vermißt wurde, wieder aufleben zu lassen. Zu diesem End waren sicher der vermehrte Einsatz von Keyboards und vielleicht sogar Fast-Mitglied Rick Wright hilfreich. Demgegenüber fehlt naturgemäß das aggressiv-prägnante Baßspiel von Roger Waters, wiewohl in Person von Tony Levin ein prominenter Ersatz gefunden wurde.

Lassen wir doch zwischendurch mal „Yet Another Movie“ erklingen, bereitgestellt von Pink Floyds eigenem Youtube-Kanal:

Nun, da ich das Album nach langer Zeit mal wieder höre, finde ich es gar nicht so schlecht. Es klingt vielleicht etwas zu bombastisch, ist klanglich ganz sicher zu deutlich in den 80er Jahren verortbar, aber abgekoppelt vom Namen „Pink Floyd“ kann es was. Ein Konzept-Album durfte man unter den gegebenen Umständen nicht erwarten, und es ist auch kein solches. Sicher gibt es Hörer, die durch dieses Album zum allerersten Mal überhaupt mit Pink Floyd in Berührung kamen und dies für den ultimativen Pink-Floyd-Klang halten, aber höre ich es in Reihe mit klassischen Alben wie „Meddle“, „Dark Side Of The Moon“, „Wish You Were Here“ oder „Animals“, läßt es doch Wünsche offen. Und ich kann ja nicht einmal von mir behaupten, die Band in ihrer Blüte, nämlich eben in den 70er Jahren, bewußt erlebt zu haben.

Trotzdem besitze ich „A Momentary Lapse Of Reason“ auch als Schallplatte.

Delicate Sound of Thunder

Selbstverständlich gingen Pink Floyd mit dem neuen Album im Seesack (völlig sinnlose Wortwahl, wollte mich bloß etwas abheben) auch auf Tour. Sehr viel weniger selbstverständlich ist, daß im Jahre 1988 auch ein Live-Album veröffentlicht wurde, war es doch nach der ersten Hälfte von „Ummagumma“ und dem Konzertfilm „Live at Pompeji“ erst der dritte offizielle Live-Release von Pink Floyd; das Live-Album zur Wall-Tour erschien erst im Jahre 2000. Und da ich selbst mich die längste Zeit gar nicht für Live-Alben interessierte, nahm ich es erst kürzlich mit, als es beim Gebraucht-CD-Händler halt so rumstand und den Daumen rausstreckte. (Schon wieder so sinnlos, diese Wortwahl.)

Das Album, also darf man annehmen: auch das Konzert, beginnt direkt mal mit dem fast 12minütigen „Shine On You Crazy Diamond“, womit alle Konzertbesucher unmittelbar im Boot gewesen sein dürften. (Mit Seesack. Hmpf.) Im Folgenden wird das aktuelle Album abgehandelt, sechs der zehn Songs werden zur Aufführung gebracht: „Learning To Fly“, „Yet Another Movie“, „Round And Around“, „Sorrow“, „The Dogs of War“ und „On The Turning Away“. Die Live-Behandlung tut den Songs gut. Beispielhaft „Learning To Fly“:

Die zweite Scheibe ist dann eine Greatest-Hits-Revue, die allerdings mit „One Of These Days“ eingeleitet wird. Es folgen „Time“, „Wish You Were Here“, „Us & Them“, „Money“, „Another Brick In The Wall part II“, „Comfortably Numb“ und „Run Like Hell“. Songs von „The Final Cut“ fehlen, was kaum zur Verwunderung Anlaß zu geben vermag, wiewohl es unvermeidlich war, Lieder zu spielen, an denen Roger Waters Rechte hat. Er verdient also mit, soll er sich mal nicht so anstellen.
Weil es als das Paradebeispiel für David Gilmours Gitarrenspiel gilt, bringen wir hier mal „Comfortably Numb“ zu Gehör, ebenfalls von PFs eigenem Youtube-Kanal:

Wie eingedenk der extensiven Besetzungsliste von „A Momentary Lapse Of Reason“ zu erwarten war, rekrutiert sich auch das Personal dieser Konzertscheibe aus mehr Musikern als den drei Pink-Floyd-Mitgliedern. Guy Pratt zupft den Baß, Scott Page bedient das Saxophon. Außerdem gibt es je einen zusätzlichen Gitarristen, Keyboarder und Perkussionisten, die alle auch Gesangsparts haben, nebst drei Hintergrundsängerinnen. Auf diese Weise bringt man also einen Sound auf die Bühne, der einem den Ruf als larger-than-life Stadion-Rock-Band beschert.

(Nur mal so: „larger than life“ heißt im Deutschen „überlebensgroß“ und bezeichnet eigentlich Statuen, die im Maßstab größer sind als ein Mensch, wie etwa Michelangelos David (5,17 m hoch). Wer das mit „größer als das Leben!“ übersetzt und unironisch so verwendet, ist für mich kein falscher Freund, sondern ein echter Feind.)

The Division Bell

Mit dem 1994er Album „The Division Bell“ durfte sich auch Rick Wright endlich wieder als vollwertiges Pink-Floyd-Mitglied fühlen, sogar mit Writing-Credits. Es hätte dies mein erstes bewußt wahrgenommenes PF-Album sein können, wenn ich nicht erst 1996 überhaupt dieses Bewußtsein entwickelt hätte. Aber das erwähnte ich ja bereits vor über drei Jahren, als ich diese retrospektive Rezensionsreihe begann. Alter! Die Zeit!

Mit diesem Album waren Pink Floyd in der CD-Ära angekommen, bei der Gestaltung des Albumcovers wurde sogar der plastene Griffrand miteinbezogen: In Braille steht da „Pink Floyd“, eine Kordel oder Schlange (?) nebst dem aktuellen PF-Logo sind ertastbar. Abermals war bandfremdes Personal an der Entstehung des Albums beteiligt. Guy Pratt durfte nach seinem vorangegangenen Tourengagement nun auch hier mittun, Dick Parry gibt sich als Saxophonist zum wiederholten Male die Ehre, und war Pink Floyd einst Vorreiter auf dem Gebiet des Samplens gewesen, so erfahren sie nun bei der Programmierung von Percussion und Keyboard Unterstützung durch Gary Wallis und Jon Carin respective. Außerdem ist eine gewisse Polly Samson maßgeblich am Schreiben der Liedtexte beteiligt, wofür David Gilmour sie vom Fleck weg heiratete. Als Special Guest computerspricht Stephen Hawking Zeilen im Song „Keep Talking“, und Douglas Adams warf sein Handtuch in den Ring, als es um den Namen des Albums ging. Hut ab! High Hopes:

„High Hopes“ ist der Titelsong dieses Albums, insofern es Glockengeläut und die Worte „The ringing of the division bell“ enthält. Außerdem ist es auch der Titelgebende Song des folgenden Albums, denn es endet auf die Worte „The endless river / forever and ever“, doch dazu kommen wir noch.
„The Division Bell“ ist ein sehr gutes ..äh.. Poprock-Album. Gelegentlich läßt es Anklänge an die klassische PF-Ära erahnen, mit sehr viel gutem Willen könnte man sogar einen roten Faden spinnen und über den Begriff „Konzeptalbum“ nachdenken, um ihn aber dann doch nicht auf das vorliegende Werk anzuwenden. Alles in allem wirkt es jedoch geschlossener und einheitlicher, mehr als Gruppenarbeit erkennbar als die vorherige Scheibe. Verfolgt man im Internet, namentlich auf Youtube, Album-Hierarchien von PF-Fans und Musik-Connoisseuren, was ich tue, so kann man beobachten, daß „The Division Bell“ erstaunlich oft vordere Plätze in diesen Rankings einnimmt. Das mag an der Gefälligkeit des Materials liegen, die zwiefellos gegeben ist, vor allem im Vergleich mit Alben wie „Atom Heart Mother“, „More“ oder gar „Ummagumma“. Mir ist das freilich zu glatt. Elegische Klangteppiche hin, präzise Gilmour-Gitarre her, ich vermisse die politische Rotzigkeit des Waters’schen Basses.

Pulse

Is’n Live-Album, interessiert mich nicht. So dachte ich jahrzehntelang, bis, hach! es im Gebraucht-CD-Laden stand und mich auffordernd anblinkte. Zuvor hatte ich schon neuere Ausgaben des Albums unbeachtet stehen gelassen, weil sie mich nicht anblinkten, aber hier griff ich dann doch mal zu.

Das geht gar so weit, daß ich die CD nun, jetzt, in diesem Moment, da ich dies schreibe, zum ersten Mal einlege, um sie zu hören. Inzwischen liegt das weniger an etwaig nicht vorhander Liebe für Live-Auftritte von Pink Floyd, denn mittlerweile ist diese Liebe in mir gewachsen. Stundenlang lauschte ich historischen Mitschnitten aus der psychedelischen und programmatischen Phase der Band. Vielmehr weckte speziell diese späte Phase mit ihrem lendengeschürzten Bombastrock mein lebhaftes Desinteresse. Aber jetzt war der Sammeltrieb doch stärker, und seitdem pulsiert es hinter mir im CD-Regal; was für eine Batterieverschwendung!

„Pulse“ ist jedenfalls das 1995er Konzertalbum zur Division-Bell-Tour. Doch ein wirkliches Konzertalbum ist es gar nicht, denn es wurden Aufnahmen aus verschiedenen Veranstaltungen verwendet, die späteste datiert vom 20. Oktober 1994. Das ist insofern schade, als eine Woche später Douglas Adams als Anhalter in diese Galaxis der Spacerock-Veteranen mitgenommen wurde und auf seiner Gitarre Begleitakkorde klampfen durfte.

Und apropos Spacerock: Abermals beginnt das Konzert mit „Shine On You Crazy Diamond“, doch dann folgt „Astronomy Dominé“, welches einst das Debutalbum eröffnete. Es schließen sich an Songs vom aktuellen Album „Division Bell“, von „Momentary Lapse Of Reason“ und „The Wall“. Stephen Hawkings Beitrag zu „Keep Talking“ war dankenswerterweise eh ein Soundschnipsel, so daß der Star-Physiker nicht bei jedem Konzerttermin persönlich anwesend sein mußte. Trotzdem spielen wir hier mal „Astronomy Dominé“ an:

Die zweite Konzerthälfte wird von „Dark Side Of The Moon“ dominiert, welches in Gänze zur Darbietung kommt. Den Abschluß bilden schließlich „Wish You Were Here“, „Comfortably Numb“ und „On The Run“.

Ausgerechnet das reduzierte „Wish You Were Here“ war die Single-Auskopplung aus diesem bombastischen Live-Album.

In der Veröffentlichungshistorie folgte dann im Jahre 2000 „Is There Anybody Out There? The Wall Live 1980–81“, wovon wir es, wie der geneigte Leser sich sicher erinnern wird, bereits bei der Besprechung von „The Wall“ hatten. Hieran schlossen sich zwei Kompilationsalben an, die ich mir schenkte, weil ich von ihrer Existenz nichts mitbekam. Im Jahre 2005 traten Pink Floyd im Rahmen des Live-8-Konzerts gemeinsam auf, und gemeinsam heißt hier: zu viert, Gilmour, Mason, Wright und Waters! War das die langersehnte Versöhnung, die Wiedervereinigung, die Einmottung des Kriegsbeils? Nä. Es war ein publikumswirksamer Fototermin, nichts weiter. Im Jahre 2006 verstarb Syd Barrett. Im Jahre 2008 folgte ihm Richard Wright nach. Und so erschien schließlich und endlich, 20 Jahre nach dem vermeintlich letzten Studioalbum von Pink Floyd, im Jahre 2014:

The Endless River

Was soll man dazu sagen? Dies wäre meine Chance gewesen, auf den letzten Drücker noch ein Pink-Floyd-Album frisch bei Verkaufsstart zu erwerben, und ich ließ sie ungenutzt verstreichen. Meine Erwartungen an dieses Album, bei dem vorab klarwar, daß es keine amtliche Reunion sein würde, waren gedämpft. Richard Wright war bereits 2008 gestorben. Das Verhältnis mit Roger Waters war lange vorher schon tot. Selbst Storm Thorgerson, etatmäßiger Titelgestalter für Pink Floyd, hatte 2013 das Zeitliche gesegnet. „The Endless River“ wurde von David Gilmour und Nick Mason in Erinnerung an Rick Wright aus unveröffentlichtem Studiomaterial zusammengestellt, das bei den Aufnahmen zu „The Division Bell“ übriggeblieben war. Dazu haben Mason und Gilmour auch einiges neueingespielt. Roger Waters war nicht dazu zu bewegen, um alter Freudschaftsbande willen zu diesem Album irgendwas beizutragen. Und so bleibt es denn bei sphärischem Ambient-Sound, Klangteppichen und Collagen. Aber natürlich kaufte ich es dann irgendwann doch.

Da ist manch schöner Klang dabei, es taugt alles ganz gut als Hintergrundberieselung, zum Beispiel in diesem Augenblick. Keine Songtexte irritieren mich beim Schreiben dieser Zeilen, denn es gibt keine, es ist ein fast reines Instrumentalalbum. Einzig Stephen Hawkings Wortbeitrag zu „Keep Talking“ erklingt im Stück „Talkin‘ Hawkin'“, und nach einer Dreiviertelstunde ertönt dann doch noch David Gilmours Stimme, „Louder Than Words“:

Hätt’s das gebraucht? Vermutlich nicht. Vielleicht war das Gilmours Versuch, nach der Erfahrung mit Syd Barretts Schicksal, das in der Band dauerhaft unverarbeitet blieb und als ewiger Schatten über allem lag, wenigstens das Verhältnis zu Rick Wright, das ja in der Wall-Periode ebenfalls zerrüttet war, zu einem würdigen Abschluß zu bringen, wenn auch nur noch posthum. Mit Freund Waters war das aber offenbar nicht angemessen möglich. Schade drum. So oder so wird es nicht „The Endless River“ sein, was von Pink Floyd in Erinnerung bleiben wird. Großartige Musik von, na, sagen wir dreizehn anderen Alben wird ins musikalische Gedächtnis der Menschheit eingehen und seinen festen Platz behaupten. Behaupte ich mal.