Sinnlose Fußballphrasen: Sinnlose Doppelbestrafung.

3. Oktober 2013

Nämlich: Wenn ein Schiedsrichter mal wieder einen Elfmeter verhängte, weil im Strafraum eine klare Torchance durch ein Handspiel oder ein Foul am einschußbereiten Stürmer verhindert wurde, dann sieht der verursachende Abwehrspieler obendrein auch noch die rote Karte. Weil es die Regel so will. In den letzten Jahren hat es sich eingebürgert, daß die kommentierende Journaille in so einem Fall dann in zunehmend empörterem Ton von einer „sinnlosen Regel“ spricht, weil diese „Doppelbestrafung“ doch viel zu hart sei; Elfmeter und Platzverweis! Sofern nicht gar dem Schiedsrichter mangelndes Fingerspitzengefühl vorgeworfen wird, wird immerhin angemahnt, die Granden des Fußballs müßten dringend diese Regel reformieren, weil sie eben „sinnlos“ sei – auf das Erscheinen dieser Vokabel kann man sich in diesem Zusammenhang verlassen.

Aber ist das denn nicht Quatsch mit Sauce? Mir fehlt es da echt am Problembewußtsein. Sezieren wir einmal die Situation. Ein Stürmer läuft aufs gegnerische Tor zu, vor sich hat er bloß noch den Torwart, ihm auf den Fersen ist ein Abwehrspieler. Dieser grätscht dem Stürmer als „letzter Mann“ in die Beine und verhindert so die klare Torchance, zieht also die „Notbremse“. Für diese Unsportlichkeit wird er mit der roten Karte vom Platz gestellt. Sollte man das ändern? Nein.

Weiter. Ein Stürmer wird im gegnerischen Strafraum gefoult. Ein Foulspiel wird mit einem direkten Freistoß geahndet, im Strafraum also mit einem Elfmeter. Dasselbe gilt, wenn im Strafraum ein Ball mit der Hand gespielt wird. Sollte man das ändern? Nein.

Weiter. Ein Stürmer wird im gegnerischen Strafraum vom „letzten Mann“ gefoult, oder sein Torschuß wird durch ein regelwidriges Handspiel im Strafraum abgewehrt. Die Konsequenz daraus: Der verursachende Spieler wird vom Platz gestellt, was, wie wir oben analysiert haben, korrekt ist. Und es gibt einen direkten Freistoß, also im Strafraum einen Elfmeter, was, wir wir oben analysiert haben, korrekt ist. Ja und? Wo ist da jetzt die allüberall bejammerte Sinnlosigkeit?

Und vor allem: Wie sollte man es anders handhaben? Keinen Elfmeter verhängen? Keine rote Karte zeigen? Unbestreitbar sind Platzverweis und Elfmeter gegen die verteidigende Mannschaft hart für diese. Aber nehmen wir an, es würde zwar ein Platzverweis wegen des Foul- oder Handspiels ausgesprochen, in diesem Fall dann aber kein Elfmeter. Dann müßte die Mannschaft zwar dezimiert weiterspielen, hätte aber immerhin das Ziel erreicht, den drohenden Torerfolg der gegnerischen Mannschaft zu verhindern. Gerade in den letzten Minuten eines engen oder ausgeglichenen Spiels wäre also ein Foul auf Kosten eines Platzverweises ein probates taktisches Mittel. Können wir das wollen? Sicher nicht.
Oder nehmen wir an, es würde zwar ein Elfmeter verhängt, aber aufgrund des „Härtefalls“ auf den Platzverweis verzichtet. Und nehmen wir weiter an, dieser Elfmeter würde nicht verwandelt. Dann wäre die verteidigende Mannschaft trotz Foulspiels im eigenen Strafraum und trotz platzverweiswürdiger Verhinderung einer klaren Torchance ungeschoren davongekommen. Können wir das wollen? Sicher auch nicht.
Oder sollte der Schiedsrichter sich gar zwischen Platzverweis und Elfmeter entscheiden müssen? Und nach welchen Kriterien? Oder willkürlich? Oder nach Münzwurf? Klingt alles ziemlich bescheuert.

Nein, die Regeln sind, so wie sie derzeit sind, keineswegs sinnlos, sondern die einzig richtigen. Sinnlos sind lediglich die immer wiederkehrenden, von der Journaille hervorgerufenen Beschwörungen der Sinnlosigkeit derselben. Mit der bejammerten Doppelbestrafung werden schlicht Fehler ziemlich hart bestraft, welche eine Mannschaft in ihrem Verteidigungsspiel begangen hat und nicht mehr mit fairen Mitteln ausbügeln konnte. Von einer Ungerechtigkeit vermag ich da nichts zu erkennen.

Ärgerlich ist natürlich, wenn der Schiedsrichter die Situation objektiv falsch beurteilte, also etwa gar kein Foulspiel vorlag, oder der Tatort außerhalb des Strafraums war, oder der Ball nicht absichtlich mit der Hand gespielt wurde, oder ähnliches. In so einem Fall wiegt die Doppelbestrafung natürlich schwer und wirkt ungerecht, jedoch spricht dies ja noch lange nicht für die Sinnlosigkeit der Regel als solcher, sondern vor allem für die Sinnhaftigkeit, dem Schiedsrichter weitere Mittel zur möglichst richtigen Beurteilung von Spielszenen an die Hand zu geben.


Wie der Ball auch kommt, wie der Schuß auch fällt.

8. Juli 2012

Nun (vor drei Tagen, aber im Ergebnis gilt es ja auch noch nun) hat die FIFA sich also dazu durchgerungen, technische Hilfsmittel bei der Bewertung strittiger Situationen zuzulassen. Das Regelkommitee des Fußball-Weltverbandes gilt gemeinhin als ähnlich aufgeschlossen gegenüber Neuerungen wie die römische Kongregation für die Glaubenslehre, daher ist dieser Beschluß sensationell, wenn er auch nach dem nicht anerkannten Treffer der Ukraine gegen England irgendwie in der Luft lag. Selbst die FIFA-Funktionäre leben ja in einer Welt, in der es meinungsstarke Massenmedien gibt.

Dieselben Menschen, die, ob katholisch oder nicht, sich darüber mokieren, daß die Kirche eine solche Glaubenskongregation hat und Jahrtausende alte Dogmen aufrechterhält, sind durchaus in der Lage, sich in Sachen Fußball ebenso konservativ zu zeigen. Für manche ist Fußball ja sowieso eine Religion.
Jedenfalls. Man hört von Anhängern des unmodernen Fußballs gerne (bzw. ungern, aber häufig) das Argument, Fehlentscheidungen seien doch das Salz in der Suppe! Wembleytor! Wo wäre Deutschland, wo wäre die gesamte Fußballwelt ohne dieses Wembleytor? Mythen- und Legendenbildung, Gesprächsstoff für Generationen, hach!

Zugegeben, derlei Legenden sind das Salz in der Suppe. Aber der Mensch lebt nicht vom Salz allein; letztlich geht es um die Suppe. Und die Substanz der Suppe ist: Tore erzielen und Spiele gewinnen. Wenn eine Mannschaft den Regeln gemäß Fußball spielt, Energie und Spielwitz aufbietet, um zum Torerfolg zu kommen, und dies auch schafft, dann hat dieses erzielte Tor Anerkennung zu finden. Und sollte allen direkt das Spiel beobachtenden menschlichen Augen entgangen sein, daß der Ball den Regeln entsprechend die Torlinie überquert hatte, dann müssen eben technische Hilfsmittel zu Rate gezogen werden. Wenn’s der Wahrheitsfindung dient.

Der Schiedsrichter, offenbar der Hüter der Menschlichkeit, hat noch genügend Gelegenheit, diskussionswürdige Fehlentscheidungen zu treffen. Die Hand Gottes, Maradonas Handtor gegen England im Viertelfinale der Weltmeisterschaft 1986 (Irgendwie ist immer das Mutterland des Fußballs an solchen Sternstunden der falschen Entscheidung beteiligt.), wäre auch durch den Chip im Ball nicht verhindert worden, denn daß der Ball jenseits der Torline war, stand ja nicht zur Debatte.

Hm. Sollte ich jetzt etwa dem Videobeweis das Wort reden? Jein. Ganz sicher ist jegliche Umsetzung des Videobeweises unsinnig, die mit Spielunterbrechungen oder gar einem gewissen Kontingent an einforderbaren Videobeweisen pro Mannschaft einhergeht, wie es zuweilen diskutiert wird. Letzteres ist Blödsinn, da die Zahl der strittigen Entscheidungen größer sein kann als die erlaubte Anzahl an Videobeweisen, zum Beispiel 3. Dann hat sich dreimal im Videobeweis herausgestellt, daß die Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters zutreffend gewesen war, aber die vierte, leider objektiv falsche Entscheidung darf gar nicht mehr begutachtet werden, weil das Kontingent ausgeschöpft ist. Das kann’s ja nicht sein.

Überhaupt können Spielunterbrechungen nicht das Mittel der Wahl sein. Beispiel: Eine vermeintliche Abseitsstellung wird abgepfiffen, die einem Angreifer eine gute Torschußmöglichkeit geboten hätte. Im Videobeweis stellt sich heraus, es war ganz knapp nicht Abseits, es hätte nicht abgepfiffen werden dürfen, ein aus dieser Position erzieltes Tor wäre regulär gewesen. Und nu? Die aussichtsreiche Situation läßt sich ja nicht wieder herstellen, die Torchance ist also auf jeden Fall verpufft, der Videobeweis hat nichts genützt.
Der ebenso zweifelhafte Gegenentwurf wäre, jede Situation erst bis zum Torabschluß durchspielen zu lassen, auch wenn der Linienrichter eine Abseitsposition erkannt hatte und die Fahne hob, dann erst am Bildschirm nachgucken, ob alles regulär war und eventuell der jubelnden Zuschauerschaft klarmachen, daß das Tor leider nicht anerkannt werden kann. Tja, dann war’s das mit spontanem Jubel.

Nein, die Entscheidung muß ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung direkt in der Situation fallen. Und wie das geht, hat die UEFA während der Europameisterschaft 2008 schon getestet. Wie der sehenswerte Film „Referees at Work“ zeigt, ist es möglich, die Schiedsrichter während des Spiels zu verkabeln und über den Knopf im Ohr mit ihnen zu kommunizieren. Der Film zeigt außerdem, wie der vierte Offizielle von außen Einfluß auf die Entscheidungen des leitenden Schiedsrichters auf dem Platz nimmt. So weist er beispielsweise den Schiri an, zwei Spielern die gelbe Karte zu zeigen.
Auf diese Weise könnte auch der Videobeweis funktionieren. Ein oder zwei Offizielle sehen sich das Spiel zeitgleich am Bildschirm an und geben dem Schiedsrichter auf dem Platz in schwierigen Situationen Hinweise wie: „Maradona Handspiel“, die dann unmittelbar als Tatsachenentscheidung im Spiel umgesetzt werden (Handtor nicht anerkannt), ohne Unterbrechung, ohne Zeitverzögerung. Sicherlich würde es auch weiterhin Fehlentscheidungen geben, weil ja selbst Fernsehbilder nicht Aufschluß über jede Situation geben, aber die Anzahl von Fehlentscheidungen ließe sich zumindest reduzieren. Wär’ das so schlimm?

Schienbein 04 gegen Meniskus Kickers.