Nämlich: Wenn ein Schiedsrichter mal wieder einen Elfmeter verhängte, weil im Strafraum eine klare Torchance durch ein Handspiel oder ein Foul am einschußbereiten Stürmer verhindert wurde, dann sieht der verursachende Abwehrspieler obendrein auch noch die rote Karte. Weil es die Regel so will. In den letzten Jahren hat es sich eingebürgert, daß die kommentierende Journaille in so einem Fall dann in zunehmend empörterem Ton von einer „sinnlosen Regel“ spricht, weil diese „Doppelbestrafung“ doch viel zu hart sei; Elfmeter und Platzverweis! Sofern nicht gar dem Schiedsrichter mangelndes Fingerspitzengefühl vorgeworfen wird, wird immerhin angemahnt, die Granden des Fußballs müßten dringend diese Regel reformieren, weil sie eben „sinnlos“ sei – auf das Erscheinen dieser Vokabel kann man sich in diesem Zusammenhang verlassen.
Aber ist das denn nicht Quatsch mit Sauce? Mir fehlt es da echt am Problembewußtsein. Sezieren wir einmal die Situation. Ein Stürmer läuft aufs gegnerische Tor zu, vor sich hat er bloß noch den Torwart, ihm auf den Fersen ist ein Abwehrspieler. Dieser grätscht dem Stürmer als „letzter Mann“ in die Beine und verhindert so die klare Torchance, zieht also die „Notbremse“. Für diese Unsportlichkeit wird er mit der roten Karte vom Platz gestellt. Sollte man das ändern? Nein.
Weiter. Ein Stürmer wird im gegnerischen Strafraum gefoult. Ein Foulspiel wird mit einem direkten Freistoß geahndet, im Strafraum also mit einem Elfmeter. Dasselbe gilt, wenn im Strafraum ein Ball mit der Hand gespielt wird. Sollte man das ändern? Nein.
Weiter. Ein Stürmer wird im gegnerischen Strafraum vom „letzten Mann“ gefoult, oder sein Torschuß wird durch ein regelwidriges Handspiel im Strafraum abgewehrt. Die Konsequenz daraus: Der verursachende Spieler wird vom Platz gestellt, was, wie wir oben analysiert haben, korrekt ist. Und es gibt einen direkten Freistoß, also im Strafraum einen Elfmeter, was, wir wir oben analysiert haben, korrekt ist. Ja und? Wo ist da jetzt die allüberall bejammerte Sinnlosigkeit?
Und vor allem: Wie sollte man es anders handhaben? Keinen Elfmeter verhängen? Keine rote Karte zeigen? Unbestreitbar sind Platzverweis und Elfmeter gegen die verteidigende Mannschaft hart für diese. Aber nehmen wir an, es würde zwar ein Platzverweis wegen des Foul- oder Handspiels ausgesprochen, in diesem Fall dann aber kein Elfmeter. Dann müßte die Mannschaft zwar dezimiert weiterspielen, hätte aber immerhin das Ziel erreicht, den drohenden Torerfolg der gegnerischen Mannschaft zu verhindern. Gerade in den letzten Minuten eines engen oder ausgeglichenen Spiels wäre also ein Foul auf Kosten eines Platzverweises ein probates taktisches Mittel. Können wir das wollen? Sicher nicht.
Oder nehmen wir an, es würde zwar ein Elfmeter verhängt, aber aufgrund des „Härtefalls“ auf den Platzverweis verzichtet. Und nehmen wir weiter an, dieser Elfmeter würde nicht verwandelt. Dann wäre die verteidigende Mannschaft trotz Foulspiels im eigenen Strafraum und trotz platzverweiswürdiger Verhinderung einer klaren Torchance ungeschoren davongekommen. Können wir das wollen? Sicher auch nicht.
Oder sollte der Schiedsrichter sich gar zwischen Platzverweis und Elfmeter entscheiden müssen? Und nach welchen Kriterien? Oder willkürlich? Oder nach Münzwurf? Klingt alles ziemlich bescheuert.
Nein, die Regeln sind, so wie sie derzeit sind, keineswegs sinnlos, sondern die einzig richtigen. Sinnlos sind lediglich die immer wiederkehrenden, von der Journaille hervorgerufenen Beschwörungen der Sinnlosigkeit derselben. Mit der bejammerten Doppelbestrafung werden schlicht Fehler ziemlich hart bestraft, welche eine Mannschaft in ihrem Verteidigungsspiel begangen hat und nicht mehr mit fairen Mitteln ausbügeln konnte. Von einer Ungerechtigkeit vermag ich da nichts zu erkennen.
Ärgerlich ist natürlich, wenn der Schiedsrichter die Situation objektiv falsch beurteilte, also etwa gar kein Foulspiel vorlag, oder der Tatort außerhalb des Strafraums war, oder der Ball nicht absichtlich mit der Hand gespielt wurde, oder ähnliches. In so einem Fall wiegt die Doppelbestrafung natürlich schwer und wirkt ungerecht, jedoch spricht dies ja noch lange nicht für die Sinnlosigkeit der Regel als solcher, sondern vor allem für die Sinnhaftigkeit, dem Schiedsrichter weitere Mittel zur möglichst richtigen Beurteilung von Spielszenen an die Hand zu geben.