Das Schicksal von Universalkästen ist es, von der Sammlerschaft weitgehend ignoriert zu werden. Vor allem im gebrauchten Zustand, der ja meistens ein aufgebautes Modell samt Bauanleitung aber ohne Karton bedeutet, sind Universalkästen für den Sammler wenig interessant, denn es werden nicht alle enthaltenen Teile in jedem Modell verwendet, und dann ist so ein Set eben nicht komplett. Diese Mißachtung ist schade, denn viele Universalkästen oder Basic-Sets, wie sie später hießen, oder Creator-Sets, wie sie heute genannt werden, bieten nicht nur eine interessante Auswahl an Teilen, sondern durchaus auch schöne Modelle.
Der Universalkasten 710 gehört unter den ohnehin schon wenig beachteten Basic-Sets noch zu den Unbekannteren, denn ihm war nur eine kurze Verweildauer im Katalogsortiment vergönnt, zumindest nach den Maßstäben der 1980er Jahre. 1983 und 1984 war er im Katalog, und selbst ich, der ich seinerzeit die Kataloge sehr eingehend studiert habe, kann nicht behaupten, das Set damals bewußt wahrgenommen zu haben. Das geschah dann erst nach meiner ..naja.. Erweckung zum AFOL* ungefähr im Jahr 2000, als ich mal die Setdatenbanken im Internet durchforstete. Und damit begann auch meine Suche nach dem Set, denn Basic-Sets hatten es mir als Sammelgebiet angetan. Aber irgendwann bekommt man ja alles, wenn auch vielleicht auf verschlungenen Wegen. Es begann damit, daß ich auf einem Flohmarkt die Bauanleitung entdeckte und natürlich mitnahm. Dann schenkte mir ein Lego-Händler den leeren Karton, weil der für ihn als Teileverkäufer keinen Wert hatte. Und schließlich ersteigerte ich auf Ebay einen Haufen Steine, der in der Tat als „Lego 710“ angeboten wurde und ungefähr den Grundstock des Inhalts umfaßte. Dummerweise ist bei dem Set – anders als bei späteren Basic-Sets – der Inhalt nicht auf dem Karton aufgelistet. Jedenfalls. Nun habe ich mich einmal daran begeben, aus dem Haufen gebrauchter Steine, die leider zum Teil auch vergilbt sind, die Modelle des Universalkastens 710 nachzubauen. (Bilder = Links)
*) Adult Fan of Lego
Die rote Satellitenschüssel, also der Sonnenschirm, ist keineswegs trivial, denn bis zum Jahre 2001 gab es sie ausschließlich in diesem Set. Ebenso speziell sind die kleinen schwarzen Fensterläden, die hier das saloonartige Gartentor bilden; diese tauchen in Sets nach 1985 nicht mehr auf, und auch bis dahin nur in homöopathischen Dosen.
Das dunkelhaarige Mädchen bzw. der gemäß der Mode der 80er Jahre frisierte Junge darf in einer antiken Schulbank nachsitzen. Tjaja, damals war es Lego noch darum zu tun, die Lebenswirklichkeit seiner Kunden abzubilden. Die Pausenbank auf dem Schulhof gewinnt nicht allein durch die leider bei mir vergilbten Steine, sondern auch durch die farbigen Rückseiten von Schrank und Wasserhähnen ein angemessen schmuddeliges Aussehen. Sehr lebensecht. Der gelbe Besenschrank ist übrigens auch als seltenes Element zu werten, denn er taucht späterhin nur noch im Basic-Set 730 auf, sowie in weiß in einem Dacta-Set.
Hier macht sich die Abgeranztheit vieler weißer Teile leider besonders unangenehm bemerkbar. Die schlichte Ausführung der Segel und des Fuhrwerks wissen jedoch zu gefallen; besonders der Schrägversatz des zusammengerollten Segels auf dem Busdach ist nachahmenswert pfiffig.
In dieser Almhütte mit abgesetztem Kamin und Fachwerk kann der Wanderer eine deftige Brotzeit zu sich nehmen. Die Berge muß man sich dazudenken, und das Wirtshausschild ist Basic-gerecht: Verbaut wird, was das Teilesortiment hergibt.
Dieser Wohnturm könnte eine Ferienwohnung sein, wie an der Campingtisch-Garnitur ersichtlich wird. Interessant, wenngleich durchaus etwas willkürlich, ist die Verwendung der Rad- als Blumenkästen.
Zu guter Letzt bietet die Bauanleitung noch dieses niedliche Deckelkästchen, in dem Klein-Ida wertvolle Briefmarken aus Amerika finden würde, aber das ist eine andere Geschichte.
So, bis hierhin war es einfach, denn die Modelle auf der Kartonvorderseite sind detailliert in der Anleitung beschrieben. Alles weitere muß mehr oder weniger mühsam anhand meist eines einzigen undeutlichen Fotos rekonstruiert werden. Um Konjekturen kommt man hierbei kaum herum.
Darum begann ich zunächst mit diesem einfachen Modell. Der blaue Pudel muß ein expressionistisches Motiv sein.
Diese Küchenzeile bietet noch einmal die Gelegenheit, die speziellen Zubehörteile ins Bild zu setzen. Da dieses Set 1983 erschien, dürfte es die erste Quelle für den Suppentopf auf der Herdplatte gewesen sein. Denn laut BrickLink gibt es den seit 1985, jedoch fehlt er im Inventar des Sets 710. Sollte ich bei Gelegenheit mal nachtragen.
Dieses Reihenhaus nimmt schon einiges vorweg, namentlich das Reihenhaus-Set 6370 von 1985, vor allem aber das Weetabix-Reihenhaus 1484 aus dem Jahre 1987. Die Modellentwickler wußten sich die zwei enthaltenen Haustüren schön zunutze zu machen.
Anhand dieses den Innenraum favorisierenden Modells wird deutlich, wie das Bauen mit einem Universalkasten funktioniert: Die enthaltenen Steine müssen reichen. Manchmal ist es knapp, manchmal muß gestückelt werden, aber sie reichen. Für den kleinen Baumeister ist dies eine gute Übung, das Beste aus einer begrenzten Auswahl an Teilen zu machen.
Das eben Gesagte gilt natürlich auch für dieses Haus mit Auto, das in seiner bürgerlichen Komplettheit fast ein reguläres Modell-Set sein könnte.
Dieser Spielplatz besticht durch die kreative Verwendung der ewigen Achssteine sowohl, wie auch der Verwendung der Suppentopfs als Sandförmchen. Gleichzeitig wird deutlich, daß es Lego damals mit den heute religiös befolgten Anti-Stress-Regeln, also dem bruchfreien und normgerechten Einbau aller Teile, damals noch nicht so ernst nahm. Der Topfhenkel in der Minifighand dehnt diese ungünstig auf, und senkrecht zwischen die Noppen gesteckte Plättchen, wie an der Wippe praktiziert, wird man heute kaum noch in offiziellen Modellen finden. Der leicht alternative Zeitgeist der frühen 80er Jahre zeigt sich an den zum Spielen für die Kinder bereitgelegten alten Autoreifen.
Zur Abwechslung ist dieses Segelboot mal ein kleineres Modell. Doch ist es nicht minder anspruchsvoll dem Bilde abzubauen. Besonders die Struktur des Rumpfes muß mehr erahnt als beobachtet werden, ergibt sich dann aber doch aus dem vorhandenen Teilematerial.
Diesen Vogel zu bauen, war aus mindestens zwei Gründen eine Herausforderung. Erstens ist die Perspektive sehr einseitig, so daß leider die Gestaltung des Deckgefieders nicht erkennbar ist. Zweitens ist die überlieferte Teileliste möglicherweise nicht vollständig; es könnten also auch zusätzliche schmale rote Dachsteine verbaut sein, die im Inventar bei BrickLink fehlen. Oder aber auch enthaltene breitere Dachsteine, was aber Einfluß auf die Gestaltung der Rückenpartie hat. Egal, man sieht das Vögelchen ja sowieso nur in Dreiviertelvorderansicht, wir werden die Wahrheit also nie erfahren.
Dieses Eigenheim zitiert gewissermaßen Gestaltungselemente anderer Haussets. Wer will, kann sich durch den Torbogen an das Haus 376 erinnert fühlen, und durch den Kamin samt Gartenmöbel ans Haus 6372. Muß aber nicht.
Zwischendurch streut Lego mal wieder einen simplen aber effektvollen Blumenstand ein. Die 80er Jahre waren noch idyllisch. (Gezahlt wird mit einer wertvollen chinesischen Wandkachel.)
Idyllisch ist auch dieses Hausboot, mit dem das Paar gemütlich über die Kanäle schippert. Schön ist die Möwe auf dem Schornstein.
Aus der Reihe „Der gebaute Wortwitz“ sehen wir nun: Das Schneckenhaus. Derartig humorvolle Absurdität ist man von Lego auch nicht unbedingt gewohnt.
Praktischerweise ist dieses Eigenheim zwiefach auf dem Karton abgebildet, einmal die Außenansicht auf der Kartonunterseite, einmal die Rückansicht im Klappdeckel, mit dem obligatorischen Beispielkind. Um die komplizierte Dachkonstruktion nachvollziehen zu können, war die Rückansicht auch unerläßlich. Das Beispielkind ließ ich weg.
Ebenfalls auf der Kartonunterseite findet sich diese Eßzimmergarnitur, die einer vergangenen Lego-Epoche anzugehören scheint. Aber zu Beginn der 80er Jahre waren in den Kinderzimmern sicher noch viele Kugelköpfe in Umlauf, die sich an diesen Tisch setzen konnten, welcher übrigens zur Hälfte geraten ist.
Dieses schlanke Haus mit Hochparterre ist ganz auf die schmale Seite des Kartons hin optimiert. Wiederum mußte ein Teil der Konstruktion geraten werden, weil insbesondere der Baum auf dem Kartonbild die Treppenkante verdeckt. Aber Bauen auf Sicht, ohne Bauanleitung, ist eine lohnende Herausforderung, die das Auge für den Zusammenhang von vorhandenem Material und geforderter Form schult. In Zukunft werde ich mir sicher noch weitere Grundbaukästen in dieser Weise vornehmen. Mit dem Universalkasten 710 war es das jedenfalls jetzt.